Artikel, anläßlich der Herausgabe des Buches:

Albert Dulk / "Nieder mit den Atheisten!" Ausgewählte religionskritische Schriften aus der frühen Freidenkerbewegung. Hrg. von Heiner Jestrabek. Band 3 der Reihe "Klassiker der Religionskritik" IBDK-Verlag, Postfach 167, 63703 Aschaffenburg, 156 Seiten, kt. DM 25,--

 

Albert Dulk

oder: Von der Ermahnung an die Linke, den Kampf gegen die Religion nicht zu vernachlässigen.

      

Der Band 3 der Reihe "Klassiker der Religionskritik" des IBDK-Verlages präsentiert Leben und Werk einer außergewöhnlichen Persönlichkeit: Albert Dulk. Es ist dies eine Wiederentdeckung eines zu Unrecht in Vergessenheit geratenen, der auf vielfältigste Weise Interesse wecken kann: als Dichter, Dramatiker, Reiseschriftsteller und Abenteurer, Naturwissenschaftler und Philosoph, 1848er und Sozialist - und nicht zuletzt als Religions- und Kirchenkritiker, als engagierter Freidenker, der dies auch noch sehr öffentlichkeitswirksam verkündete.

Seit Abschluss seines Studiums lebte er fast ausschließlich als freier Schriftsteller und Journalist. Trotz seines umfangreichen Werks liegt die letzte Herausgabe seiner Dramen über 100 Jahre zurück. Viele seiner Schriften liegen nur ungedruckt und noch unausgewertet vor; sie warten noch immer auf eine wissenschaftliche Auswertung und eine Herausgabe als Gesamtwerk. Ein verdienstvolles Werk des Verlages also, der so lange nicht mehr veröffentlichte Texte nunmehr der Öffentlichkeit wieder zugänglich macht.

 

Am 17. Juni 1819 wurde Albert Friedrich Benno Dulk in Königsberg, als Sohn eines Apothekers, geboren. Er besuchte das Gymnasium und absolvierte eine Apothekerlehre beim Vater. Es schlossen sich berufspraktische Tätigkeiten in Königsberg, Breslau und Schlesien an. Seit 1844 studierte er Chemie in Leipzig. Anlässlich des Leipziger "Volkskrawalles" hielt er, zusammen mit Wilhelm Jordan und Robert Blum, eine Rede für die Gefallenen. Nachdem er wenig später auch noch die Tochter des König-Attentäters Tschech besucht hatte, um Stoff für ein Drama zu sammeln, wurde er inhaftiert und 1845 aus Sachsen ausgewiesen. 1846 konnte er in Breslau promovieren, ein Berufsverbot beendete jedoch jäh die angestrebte Hochschulkarriere.

Nach Königsberg zurückgekehrt beteiligte er sich aktiv an der Revolution. Er trat als öffentlicher Redner auf, wurde Korporal der Bürgerwehr, gründete eine 'Arbeiter-Assoziation', die den Charakter eines Arbeiterbildungsvereins hatte und gab ein sozialistisches Sonntagsblatt heraus.

Dulk bekämpfte die preußische Landeskirche und den preußischen Staat. Folgerichtig nutzte er auch die neugeschaffene Religionsfreiheit und trat 1849 aus der evangelischen Kirche aus.

Eine, für diese Zeit ungewöhnliche, Lebensgemeinschaft führten die Dulks. 1846 heiratete Albert seine Johanna (Hannchen), nunmehr Dulk (1823-1889). Die Freundinnen Pauline (Ini) Butter (1821-1902) und Else Bussler (1824-1899) schlossen sich der Ehe an. In den Jahren 1848/49 kamen gleich drei Söhne zur Welt: Paul Philipp, Ludwig Phillip, Max Phillip; 1854 wurde die Tochter Anna geboren.

In Arabien und auf dem Sinai

Als die Revolution 1849 blutig niedergeschlagen wurde, wanderte Dulk über Italien in den Orient aus. Nahezu mittellos bereiste er Arabien, befuhr den Nil auf Felachenbooten, lebte unter Einheimischen, durchquerte die Wüste und lebte monatelang als Eremit auf dem Sinai. Seine Berichte hierüber und weitere Berichte, wie etwa der über seine Lapplandreise, gehören zur interessantesten Reiseliteratur dieser Zeit und sollten Dulks Ruf als Abenteurer begründen. 1850 kehrte er nach Europa zurück und lebte in einer einsamen Berghütte in den Schweizer Bergen, jetzt wieder mit seiner ganzen Familie.

In Württemberg

1858 übersiedelte die Familie Dulk nach Stuttgart. Er verkehrte in literarischen Zirkeln und vollbrachte die sportliche Meisterleistung, den Bodensee an seiner breitesten Stelle in sechseinhalb Stunden zu durchschwimmen. Der Mittvierziger Dulk war allseits geachtet und anerkannt. Mit seiner, damals überdurchschnittlichen, Größe von 1,88 m, einem guten und sportlichen Aussehen, zudem rhetorisch sehr gewandt, besaß er einen gewissen Bekanntheitsgrad. Sein soziales Engagement und sein kämpferischer Atheismus bewegten ihn 1875 zum Eintritt in die Sozialistische Partei in Stuttgart. Vorangegangen waren, angesichts zweier miteinander rivalisierender sozialdemokratischer Gruppen, Jahre des Abwartens. Den Ausschlag für den Parteieintritt des immerhin schon 56jährigen, mochten wohl lange Gespräche mit seinem späteren Schwiegersohn Heinrich Scheu gegeben haben. Zur selben Zeit absolvierte Dulk noch eine Schriftsetzerlehre in der Druckerei Kröner in Stuttgart. Vorangegangen waren Jahre, in denen die beiden sozialdemokratischen Gruppen gemeinsam heftige Auseinandersetzungen mit dem Pietismus führten. In der stark besuchten Liederhalle wurde auf Veranstaltungen mit Dulk die evangelische Geistlichkeit wegen ihrer reaktionären Haltung zur Arbeiterfrage heftig attackiert. Diese Aktionen verschaffte den Sozialdemokraten großen Zulauf.

Unbequemer Sozialdemokrat

1875 war Dulk bereits Stuttgarter Delegierter beim Vereinigungsparteitag der beiden sozialdemokratischen Parteien in Gotha. Am 25. Juli 1875 hielt Dulk die Festrede beim "ersten Stiftungsfeste der Socialistischen Arbeiterpartei" in Stuttgart. Rund 2.000 Menschen zogen feierlich mit Musik und Fahnen durch die Stadt.

Auch als Parteifunktionär blieb Dulk ein Querdenker. Er gehörte zu den Sozialisten, die ihren Sozialismus nicht nur ökonomisch, sondern auch ethisch begründeten. Im Gegensatz zu manchen Sozialdemokraten in der Zeit vor dem Sozialistengesetz, sah Dulk seinen Sozialismus weniger auf dem "Ideal der Gerechtigkeit" begründet, als auf dem "Ideal der Vernunft". Der Naturwissenschaftler Dulk bestand von Anfang an darauf, den sozialistischen Kampf mit dem Kampf gegen religiöse Unfreiheit, durch die Verbreitung einer vernunftbegründeten, atheistischen Religionskritik zu verbinden. Die Emanzipation von der Bevormundung durch die christliche Religion und Kirche, betrachtete er als unabdingbare Voraussetzung für die Verbreitung sozialistischen Bewusstseins.

Dulk war kein bequemer Parteigenosse und trug Differenzen nach allen Seiten aus, mal gegen die Rechte, mal gegen die Linke in der Partei. Nachdem Dulk bei einer Auseinandersetzungen um seine Religionskritik keinen Rückhalt in der Stuttgarter Partei erhalten hatte, verzichtete er darum 1884 enttäuscht auf eine weitere Kandidatur bei der Reichstagswahl. In den vorangegangenen Jahren hatte er, als Kandidat der Sozialdemokratie, trotz des Sozialistengesetzes, beachtliche Erfolge bei den Landtags- und Reichtagswahlen verzeichnet und sogar Unterstützung von der linksliberalen Württembergischen Volkspartei erhalten. Bei den Landtags- und Reichstagswahlen 1877 und 1878 errang er einen Stimmenanteil von knapp 28 bzw. 24%; auch 1881 und 1882 errang Dulk in Stuttgart die höchsten sozialdemokratischen Stimmenanteile in ganz Württemberg. Dieser mangelnde Rückhalt war umso überraschender, da er schlichtweg die Symbolfigur der württembergischen Sozialdemokratie war und seine Stuttgarter Genossen ansonsten eher Anhänger linksradikaler Positionen waren. Aber es sollte geradezu ein Symptom des politischen Opportunismus der Sozialdemokratie werden, dass Religionskritik zunächst als nebensächlich und längst überflüssig angesehen wurde und später - oft sogar von den selben Protagonisten - jegliche Ideologiekritik dem politischen Tagesinteresse geopfert wurde. Sein Verzicht auf weitere Kandidaturen bedeutete aber keineswegs, dass er der Sozialdemokratie keine Aufmerksamkeit mehr gewidmet hätte. Sein hauptsächliches Engagement verwandte er aber künftig für die Freidenkerbewegung.

Gründung des Freidenkerbundes

Dulk gehörte zu den Gründungsdelegierten des 'Internationalen Freidenkerbundes' (IFB) am 29./31. August 1880 in Brüssel. Am 10. April 1881 gründete er in Frankfurt/Main, gemeinsam mit Ludwig Büchner und August Specht den 'Allgemeinen Deutschen Freidenkerbund'. Neben Büchner und Specht, unterstützten die Gründung des Freidenkerbundes Otto von Corvin, Max von Nordau, Carl Scholl und andere religionskritische Persönlichkeiten.

Am 2. April 1882 kam es, auf Dulks Initiative, zur Gründung der ersten deutschen 'Freidenkergemeinde' in Stuttgart, deren erster Sprecher Dulk wurde.

Öffentlichkeit und Gefängnis

Dulks Aktivitäten, öffentliche Reden und Auftritte, standen schon vorher fast immer in Zusammenhang mit Freidenkertum. Nachdem er Anfang Oktober 1878 als Verfasser eines Flugblattes wegen "Volksverhetzung" für ein Jahr ins Gefängnis musste, bekam er gleich im Dezember zusätzlich weitere zwei Monate wegen "Gotteslästerung" und "Kirchenschmähung" in öffentlichen Vorträgen aufgebrummt (nach dem heute noch immer bestehenden § 166 StGB). Die Anwendung des § 166 des Strafgesetzbuches war schon damals antiquiert und empörte die kritische Öffentlichkeit. Eine Verquickung des Gotteslästerungstatbestandes mit dem Sozialistengesetz galt den Zeitgenossen als ein Akt von politischer Gesinnungsjustiz. Erst am 22. Dezember 1879, nach insgesamt vierzehn Monaten im Heilbronner Gefängnis, wurde Dulk aus der Haft entlassen.

Als er bald darauf im Jahr 1880 einen Vortrag mit dem Thema "Die religiöse Sündfluth in der Stadt der Beter" ankündigte, wurde dieser kurzerhand von der Stuttgarter Stadtdirektion, aufgrund des Sozialistengesetzes, verboten. Zur Begründung wurde insbesondere angeführt, dass Dulk systematisch anstrebe, "durch die Bekämpfung der christlichen Religion die Ziele der Socialdemokratie zu fördern", wie es in der Verbotsbegründung durch die Stuttgarter Stadtdirektion hieß. Erst 1882 konnte er wieder seine gut besuchten freidenkerischen Vorträge halten. Wieder wurde wegen des § 166 ermittelt und seine Vorträge am 6. März 1882 verboten. Doch Dulk und seine Genossen verschafften sich immer wieder eine neue Öffentlichkeit. Als recht wirkungsvoll erwiesen sich öffentliche Vorträge in der Freidenkergemeinde und anlässlich von Bestattungen, wie z.B. in der in der Veröffentlichung wiedergegebenen "Rede am Grabe von Gottlob Eitle".

Trauerzug und Ehrung am Dulk-Häusle

1884 starb Dulk, völlig überraschend, bei einer Zugfahrt von Stuttgart nach Untertürkheim. Sein Leichenzug sollte zur größten Demonstration der württembergischen Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz werden. In Württemberg war die Feuerbestattung noch nicht erlaubt, deshalb zog ein Leichenkondukt zum Güterbahnhof, zur Überführung nach Gotha. Ein ungewöhnlich großes Polizeiaufgebot wurde zum "Ordnunghalten" eingesetzt: die circa 80 Stuttgarter Schutzleute nebst 40 eigens herbeigeholten Landjägern. Während des Leichenzugs war das Militär der Stuttgarter Garnison zu einem eventuellen Einsatz bereit. Am Trauerzug nahmen dem Stuttgarter Tagblatt zufolge "Tausende und Abertausende von Arbeitern ... mindestens 5-6.000" teil. Insgesamt hatten dem Trauerzug "wohl über 25.000 Menschen angewohnt".

Knapp ein Jahr später, am 20. September 1885, gedachten die württembergischen Sozialdemokraten und Freidenker Dulks anlässlich der Einweihung einer Gedenktafel am "Dulk-Häusle" im Esslinger Wald, das Dulk zu Lebzeiten bewohnt hatte, wenn er sich zurückziehen wollte. Zu dieser Feier waren wieder "unter großer Beteiligung der schwäbischen Genossen ... mehrere Tausend Besucher" zusammengekommen. Einer der Redner, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Bruno Geiser erklärte, Dulk sei von seiner Zeit als Dichter, Philosoph und Volksmann nicht voll verstanden worden, bzw. man habe ihn nicht voll verstehen dürfen, denn die "richtige Luft der Geistesfreiheit wehe noch nicht". Er hoffe, "der Geist Dulks möge seinen Freunden in noch kommenden Kämpfen zur Seite stehen!".

Zur Bedeutung Albert Dulks

Dulk gehörte, neben Georg Herwegh und Johann Jacoby, zu den wenigen 1848ern, die ihrer Gesinnung treu geblieben sind und konsequenterweise eine Brücke zur später entstehenden sozialistischen Arbeiterbewegung geschlagen haben. Mit dem preußischen Obrigkeitsstaat hatte er sich nie ausgesöhnt. Konsequent hielt er an seiner Gegnerschaft zu Monarchie, Staat und Militär fest. Energisch wandte er sich gegen den nationalen Taumel von 1870/71 und die Annexion von Elsaß-Lothringen. Mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht, die aufgrund der selben Haltung wegen "Hochverrat" zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt wurden, solidarisierte er sich öffentlich. Dulk trat öffentlich, in den Zeiten des Sozialistengesetz, als sozialistischer Redner, Landtags- und Reichstagskandidat auf. Und dieses politische Engagement verband er immer mit seinem freien Denken. Damit stieß er natürlich auch viele Zeitgenossen vor den Kopf: die bürgerlich-braven Freigeister (wie z.B. David Friedrich Strauss oder Bruno Bauer), die nur kritisch in der Theologie waren, ansonsten aber ihren Frieden mit der weltlichen Obrigkeit gemacht hatten; die Spießbürger und Frömmler, weil er nicht nur im stillen Kämmerlein bibelkritelte, sondern in großer Öffentlichkeit gegen die Dogmen des Glaubens auftrat - und das auch noch in Stuttgart, der "Stadt der Beter", einem bigotten Zentrum des Pietismus; einige seiner sozialdemokratischen Mitkämpfer, die sich schon damals gern um die Religions- und Kirchenkritik herummogeln wollten, indem er ihnen belegte, daß soziale Befreiung nur möglich ist, wenn sich die Arbeiterklasse auch geistig zu befreien vermöge. Darüberhinaus war seine Lebensgemeinschaft mit drei Frauen natürlich ein ständiger Skandal.

Zur aktuellen Auswahl Dulk’scher Schriften

In den neuveröffentlichten Schriften, die Eingang in die, hier besprochene aktuelle Auswahl fanden, zeigt sich sehr anschaulich, wie Dulk agierte: durch öffentliche Reden, dramatische Dichtungen und volksaufklärerische Schriften. In der dramatischen Satire "Nieder mit den Atheisten!" - Ein Gespräch zwischen Frömmigkeit, Verstand und Liebe" stellte Dulk einen, für das damalige Stuttgart durchaus typischen, Dialog dar. Äußerungen des katholischen (Dr. Orthodoxus) und des evangelischen Geistlichen (Dr. Lichtfreund) werden dem skeptischen bibelfesten Normalmenschen (Michel Menschenverstand) gegenübergestellt. Die Menschenliebe (Frau Sammliebe) löst den Dialog auf, zu einer menschlichen Zukunftsperspektive, ohne einen Gottglauben.

Dulks öffentliche Vorträge gehörten wohl - aus der Sicht der Religionskritik - zu seinen wichtigsten Verdiensten. Der sehr starke Besuch und die Reaktionen sprechen dafür. Exemplarisch hierfür sein Vortrag in der Stuttgarter Liederhalle: "Die Entwicklung des Christentums". Württemberg war noch immer ein Zentrum eines eifernden Pietismus, in dem ein geistiges Klima der Enge herrschte, wie es sich heute vielleicht noch im so genannten bible belt im Süden der USA findet, vergleichbar nur dem, der heutigen USA-Sekten. Noch immer gab es die 'Kirchenkonvente' genannten Sittengerichte, in denen unter dem Vorsitz des evangelischen Ortsgeistlichen empfindliche Strafen und Schandurteile über die vermeintlichen Sittenverfehlungen der Untertanen verhängt wurden. Ergänzt wurde diese Geisteshaltung von einer schwäbisch-bigotten Sexual- und Lustfeindlichkeit, die uns heute nur noch ein Kopfschütteln abnötigen kann. Diese spezifisch schwäbische Art des Pietismus, die sich in intolerantem Sektierertum und durch häusliche Betkreise äußert, bietet auch gegenwärtig noch eine Spielwiese für fanatische Lebensschützer und fundamentalistische Jesus-Jünger.

Nachwirkungen auf die Linke

Einen interessanten Aspekt bildet auch die Nachwirkung Dulks auf die sozialistische Bewegung. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte der Arbeiterbewegung - ob sozialdemokratischer oder parteikommunistischer Richtung - eine Auseinandersetzung zweier Richtungen in der Frage der Religionskritik. Ideologischen und ökonomischen Kampf verbanden die sozialistischen Freidenker, indem sie sich bemühten, differenzierte Religionskritik innerhalb der Arbeiterbewegung zu verbreiten. Die andere Richtung, die eine Ignoranz gegenüber dem freidenkerischen Anliegen pflegte, war aber auch immer um vermehrten Einfluß bemüht. Solange die Freidenker eine Massenbewegung waren, war ihr Einfluss auch nicht zu übersehen (Mitgliederzahlen der Freidenkerverbände: Die sozialdemokratisch geführten Verbände 'Deutscher Freidenker-Verband' (1933): 660.000 und 'Bund sozialistischer Freidenker' (1930): 20.000; der kommunistisch geführte 'Verband proletarischer Freidenker' (1933): 140.000; die bürgerlich geführten Verbände 'Deutscher Monistenbund' (1930): 10.000 und 'Volksbund für Geistesfreiheit' (ein Zusammenschluss von 'Freidenkerbund' und 'Freireligiösen) im Jahr 1914: 50.000 Mitglieder.). Nachdem diese Bewegung 1933 durch die Nazis zerschlagen wurde, konnten sich die Freidenker in Deutschland nie mehr richtig erholen. Die Arbeiterparteien nach 1945 gaben so auch, nach und nach, freidenkerische Positionen preis. Für die Schriften Dulks fand sich von parteioffizieller Seite kein Interesse mehr. Kein, den Arbeiterparteien nahe stehender, Verlag legte seine Schriften neu auf. Lediglich die Freidenker der Tschechoslowakei besorgten in den 30er Jahren eine Übersetzung und Herausgabe von Dulkschen Schriften (Nach den Angaben von Leopold Grünwald, ehemaliger Sekretär des tschechoslowakischen Freidenkerverbandes in den 30er Jahren, anläßlich eines Interviews mit Heiner Jestrabek (Wien, 23. 10. 1991).

Rechristianiserung der Linken

Der geschwundene Einfluss des organisierten Freidenkertums stellte eine parallele Entwicklung zum Untergang des größten Teils der Arbeiterkulturbewegung dar. Arbeitersänger, -sprechchöre, -theater, -sportler und -literatur konnten ihre Massenbasis der Weimarer Republik nie mehr aufnehmen. Natürlich hat dies alles mit den veränderten Zeitbedingungen und der Schwäche der Linken zu tun. Aber warum wir heute immer noch das Phänomen einer 'Rechristianisierung' innerhalb der Linken konstatieren müssen, ist nicht so recht einzusehen.

Es fällt auf, dass in der Linken nach dem Zweiten Weltkrieg eine an Denkfaulheit grenzende Gleichgültigkeit ideologischen Fragen gegenüber Einzug gehalten hat; die Begründungen hierfür reichen vom Hinweis, Religionskritik lenke von wichtigeren Fragen ab, bis hin zur These, die Religionsfrage erledige sich sowieso von alleine, wenn der Sozialismus erst ökonomisch gesiegt hätte. Dabei ist es gleichgültig, ob sich dieser Fatalismus linksradikal (etwa Anton Pannekoek, ein sozialdemokratischer Theoretiker, der zwischen 1906 und 1914 vor sozialistischem Freidenkertum warnte. In seiner Schrift "Religion und Sozialismus" sprach er von "Kraftvergeudung" und "Nebenzielen", vor denen man sich "hüten" müsse. Zitiert nach Kaiser, Arbeiterbewegung und organisierte Religionskritik, S. 118f) gebärdet oder rechtsopportunistisch, bis hin zum fatalistischen ideologischen Eintopf-Syndrom, nach dem die kirchliche Humanismus-Terminologie für wahr angenommen wird. Dieser Opportunismus findet sich weit verbreitet innerhalb der Sozialdemokratie (Vgl. hierzu den programmatischen Kurswechsel der SPD, festgelegt im "Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen von Außerordentlichen Parteitag der SPD in Bad Godesberg vom 13.-15. November 1959". Die altbewährten Forderungen nach einer Trennung von Staat und Kirche, sowie nach einer Weltlichkeit der Schule wurden gestrichen. Der Vorsitzende Erich Ollenhauer erklärte hierzu ausdrücklich, daß sich in dieser Frage die Meinung der Sozialdemokratie geändert hätte und es sich bei diesen neuen Formulierungen nicht nur um taktische handeln würde. Protokoll der Verhandlungen des o. g. Parteitages. Hrsg. Vorstand der SPD Bonn. 1960.), aber auch bei den KPs, die dem Bündnis mit der christlichen Friedensbewegung und den wenigen fortschrittlichen Pfarrern immer wieder höhere Bedeutung zumaßen als der eigenen freidenkerischen Tradition. Damit keine Missverständnisse entstehen: Freidenker traten immer für Dialog und Zusammenarbeit mit Christen ein. Aber eben ohne die Aufgabe der eigenen Identität.

Schließlich äußert sich diese Rechristianisierung der Linken in der völligen Aufgabe sogar von demokratischen Minimalforderungen, wie der Trennung von Staat und Kirche und der Abwendung von jeglicher Ideologiekritik, bis hin zu offener Gegnerschaft zum Freien Denken. Dies geht so weit, dass durch linke Parteien eine offen klerikale Politik gefördert wird, laizistische Positionen von opportunistischen Politikern aufgegeben werden und als traurige Höhepunkte sogar Verbote gegen die Freidenkerverbände in der UdSSR und deren Satellitenstaaten verhängten. (Beispiele für die Förderung klerikaler Politik in der Sowjetunion finden sich bei Karlheinz Deschner: Die Politik der Päpste im 20.Jahrhundert. Reinbek 1991.).

Bis heute äußert sich dieser verhängnisvolle Opportunismus darin, dass Dulk und andere in Archiven, Standardwerken und Lexika der ehemaligen DDR nicht anzutreffen waren und somit praktisch zu Unpersonen wurden. Die Erfassung und Auswertung seiner Werke wurde sträflich vernachlässigt und somit ganze Generationen von Wissenschaftlern und Sozialisten zu Analphabeten bezüglich des Freidenkertums. Diese Denkweise ist eigentlich eine dem wissenschaftlichen Sozialismus fremde Methode, eine mechanisch-metaphysische Arbeitsmethode und Ideologie, im Kern also überlebter bürgerlicher Idealismus. Mit seiner Auffassung von Dialektik vertrat Dulk eine ähnliche Position wie seine Zeitgenossen Karl Marx und Friedrich Engels, zu denen er ansonsten in kritischer Distanz stand. Er verband eine fundamentale Religionskritik, die aktiv gepflegt werden muss, mit einer vielschichtigen Behandlung des Phänomens Religion als gesellschaftlich wirkender Ideologie. An diese Denkweise anknüpfend bleibt Religionskritik bis heute von Bedeutung: sie ist weltanschauliche Grundlage für jene, die sich in ihrem Handeln dem Fortschritt und der Freiheit der Menschheit verpflichtet fühlen. Das Lebenswerk eines Albert Dulk - auch wenn es wie bei allen Pionieren nicht frei von Irrtümern und Fehleinschätzungen ist - bietet hierfür manche brauchbare Handhabe.

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