Zum 250. Geburtstag von

Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)

 

Im 250. Jahr seit Goethes Geburt, werden zahlreiche Goethe-Ehrungen und Interpretationen gepflegt. Gut so! Hat der alte Dichter uns doch noch einiges zu sagen. Als Autorität in Sachen deutsche Sprache etwa. Allen Philologen und Rechtschreibreformern sei die folgende Anekdote ans Herz gelegt: Goethe verehrte Wieland sehr. Eines Tages sprach man bei Tisch von den Schwierigkeiten und der Vertracktheit mit der deutschen Rechtschreibung. "Ich halte sie mir nach Möglichkeit vom Halse", sagte Goethe. "wenn man will mache ich in jedem Brief Schreibfehler, und keine Komma. Dabei beruhige ich mein Gewissen mit der Meinung des verehrten Wieland: Religion und Interpunktion sind Privatsachen!"

 

Stürmer und Dränger

Goethes literarische Laufbahn begann als Stürmer und Dränger. Die "Sturm und Drang"- Bewegung um 1770 war eine Umsetzung der Ideen der Aufklärung im ästhetisch-literarischen Bereich. Die Form war die, eines jugendlichen Aufbegehrens. Man kann sogar von einer literarischen Revolution sprechen. "Sturm Und Drang" war ein neuer Abschnitt der Aufklärung, der mit einer bisher ungewohnten Gesellschaftskritik einherging. Überaus nützlich an dieser Bewegung - im Sinn der Aufklärung - war, dass erstmals diese neuen Gedanken für eine breite Öffentlichkeit zugänglich war. Antifeudale und antiklerikale bürgerliche Ansichten erreichten jetzt auch die unteren Bevölkerungsschichten. Da waren ganz neue Töne: Bürger nahm kein Blatt vor den Mund: "Für wen, du gutes deutsches Volk, behängt man dich mit Waffen? Für Fürsten- und für Adelsbrut und fürs Geschmeiss der Pfaffen." Herder forderte "Du Philosoph und du Plebejer, macht einen Bund um nützlich zu werden...".

Ein Höhepunkt dieser Bewegung war sicherlich Goethes Prometheus (1774). Aus der vernunftbegründeten Aufklärung wurde jetzt ein leidenschaftliches Freiheitsaufbegehren, ja offene Rebellion. In seinem Gedicht griff er die Prometheus-Sage der griechischen Antike auf, gestaltete jedoch nicht den leidenden, aber unbeugsamen ausharrenden Prometheus, sondern den rebellierenden und triumphierenden Helden. Die Antipoden im Gedicht sind, der Unterwerfung und Dank fordernde Gott und der sich empörende und selbstbewusste Prometheus. Prometheus weist die ungerechtfertigten Ansprüche des Gottes zurück. Goethe formulierte somit dem Freiheitsanspruch des Bürgertums gegenüber allen von 'oben' kommenden Ansprüchen zurück. Ziel dieser Kampfansage waren somit auch die Fürsten, die 'von Gottes Gnaden', die ebenso tyrannisch auftraten wie Zeus im Gedicht:

 

"Bedecke deinen Himmel, Zeus,

mit Wolkendunst

und übe, dem Knaben gleich,

der Disteln köpft,

an Eichen dich und Bergeshöhn;

musst mir meine Erde

doch lassen stehn

und meine Hütte, die du nicht gebaut,

und meinen Herd,

um dessen Glut

du mich beneidest.

Ich kenne nichts ärmeres

unter der Sonn’ als euch, Götter!

Ihr nähret kümmerlich

von Opfersteuern

und Gebetshauch

eure Majestät

und darbtet, wären

nicht Kinder und Bettler

hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,

nicht wusste, wo aus noch ein,

kehrt ich mein verirrtes Auge

zur Sonne, als wenn drüber wär

ein Ohr, zu hören meine Klage,

ein Herz wie meins,

sich des Bedrängten zu erbarmen.

wer half mir

wider der Titanen Übermut?

Wer rettete vom Tode mich,

von Sklaverei?

Hast du nicht alles selbst vollendet

heilig glühend Herz?

Und glühtest jung und gut,

betrogen, Rettunsdank

dem schlafenden da droben?

Ich dich ehren? Wofür?

Hast du die Schmerzen gelindert

je des Beladenen?

Hast du die Tränen gestillet

je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

die allmächtige Zeit

und das ewige Schicksal,

meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa,

ich sollte das Leben hassen,

in Wüsten fliehen,

weil nicht alle

Blütenträume reiften?

Hier sitz ich, forme Menschen

nach meinem Bilde,

ein Geschlecht, das mir gleich sei,

zu genießen und zu freuen sich,

und dein nicht zu achten,

wie ich!"

 

Auch in seinem dramatischen Schaffen

blieb Goethe ein Rebell. Im Drama Götz von Berlechingen steht, vor dem Hintergrund des Bauernkriegs von 1525, ebenfalls eine Empörergestalt im Mittelpunkt. Der Reichsritter Götz verteidigt seine Unabhängigkeit gegen die Anmaßungen der Fürsten. Goethe zeigt einen tapferen, aufrechten und gerechten Mann, der sich abhebt von Heuchelei, Verrat, Karrieresucht und Machtstreben der Fürsten. Den partikularistischen Bestrebungen der Fürsten setzt er sein Ideal eines starken deutschen Reiches entgegen. Zwar trifft diese Charakterisierung kaum auf den historischen Götz zu, den später Marx als den "miserabelsten Kerl, der Weltgeschichte" bezeichnete, aber von Goethes Zeitgenossen wurde dieses Drama als ein Protest gegen den Adel und den Klerus verstanden.

1774 entstand der Briefromen Die Leiden des jungen Werthers. Die Enge und Kleinlichkeit im Beruf, der Hochmut und die Rangsucht des Adels bedrücken und beleidigen Werther. Er als Bürgerlicher stößt überall auf Ablehnung und Verachtung durch den Adel. Harmonie und Erfüllung findet er nur im Naturleben und bei einfachen ungekünstelten Menschen aus dem Volk. Werther scheidet freiwillig aus dem Leben, da er an der Enge und Borniertheit, dem Kastengeist und Hochmut der feudalen Gesellschaft und den beschränkten Lebensverhältnissen der Bürger scheitert. Auch dieses Stück wurde von seinen Zeitgenossen als Protest gegen die Enge und Bedrückung dieser Zeit verstanden.

1788 vollendete Goethe in Italien sein Trauerspiel Egmont. Hier griff er einen Stoff aus der Zeit des niederländischen Befreiungskrieges gegen die Spanier auf. Im Mittelpunkt steht Egmont, ein Adliger, der in Opposition zur spanischen Herrschaft steht und Klärchen, ein Mädchen aus dem Volke, dass Egmont liebt und in ihm einen Volkshelden sieht. Egmont wird wegen seiner Inkonsequenz und Unentschlossenheit im Kampf zum Opfer und fällt in die Hände des grausamen Herzog Albas. Egmont beschwört vor seiner Hinrichtung die Freiheit und ruft zum Sieg der gerechten Sache auf

Im Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) gestaltete Goethe seine Auffassungen über die erzieherische Aufgabe einer erst zu schaffenden Nationalliteratur. Wilhelm Meister, der Kaufmannsohnes sucht, aus der Enge und Selbstsucht besitzbürgerlicher Kreise, einen Weg zu allseitiger Bildung und einem harmonischen tätiges Leben. Er muss einsehen, dass sein Vorhaben in der feudalabsolutistischen Welt nicht zum Erfolg führen kann. Erst im Kreis aufgeklärter Adeliger, die freiwillig auf ihre Geburtsvorrechte verzichtet haben, findet er die Erfüllung seines Strebens.

 

Die Französische Revolution,

die Goethe zunächst begrüßte, lehnte er bald ab. Hier zeigte sein Denken politische Beschränktheiten (Das Sein prägt bekanntlich das Bewusstsein und Goethe war ein Frankfurter Ratsherrenkind bzw. Weimarer Geheimrat). So schrieb er: "Es ist wahr, ich konnte kein Freund der Französischen Revolution sein, denn ihre Greuel standen mir zu nahe und empörten mich täglich und stündlich, während ihre wohltätigen Folgen damals noch nicht zu ersehen waren. Auch konnte ich nicht gleichgültig dabei sein, dass man in Deutschland künstlicher Weise ähnliche Szenen herbeizuführen trachtete, die in Frankreich Folge einer grossen Notwendigkeit waren." (Goethe zu Eckermann am 4. 1. 1824). Trotzdem war er kein Fürstenknecht. Er anerkannte die Überlegenheit, der um ihre Freiheit kämpfenden französischen Revolutionstruppen, gegenüber den Söldnerheeren der Preussen und Österreicher. So schreibt er über seine Eindrücke von den französischen Revolutionstruppen bei Valmy: "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus ..." (Kampagne in Frankreich). Und etwa zur gleichen Zeit schrieb er an einer Neufassung des alten Tierepos Reineke Fuchs, eine Satire auf das Wesen der Feudalgesellschaft.

 

Goethes politisches Programm

war das einer 'aufgeklärten Monarchie'. Dieser Illusion widmete er viele Jahre seines Lebens. Er hoffte auf den jungen Weimarer Herzog so viel Einfluss zu gewinnen, um bürgerlich-aufklärerische Gedanken in praktische, gesellschaftswirksame Reformen umzuwandeln. Als er dieses Unterfangen als gescheitert ansah, floh Goethe in seine Italien-Reise (1786) und widmete sich von nun an hauptsächlich der Kunst. Zwar gab er sein Menschenbild aus der Sturm-und-Drang-Zeit nicht auf, aber sein künftiges Leben widmete er nunmehr der Literatur, die die Aufgabe haben sollte, den Menschen in humanistischer Weise zu erziehen, um schliesslich eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erreichen. Diese Überbewertung der Kunst teilte auch sein Freund Schiller, der in etwa eine parallele politische Entwicklung durchmachte.

 

Der ältere Goethe,

der sich gegenüber der politischen Bewegung in Deutschland zurückhielt, begrüsste die volkstümlichen Tendenzen in der aufkommenden Romantik. Er lehnte aber alles Rückwärtsgewandte, Mystische und Schwärmerische in dieser Literatur als krank ab. Er rühmte die künstlerische Leistungen der Vergangenheit aller Völker und pflegte aufmerksam die Volkspoesie, von der er selbst stark Gebrauch machte.

Am Ende seines Lebens stehen verschiedene autobiographische Schriften und vor allem das grosse Faust-Drama. Hier griff er den Stoff aus den Volksbuch auf und schuf zugleich eine meisterhafte Dichtung, die ein wichtiger Bestandteil der deutschen bürgerlichen Nationaldichtung werden sollte. Hier stellt Goethe seine "Welt- und Menschensicht" (wie, er es selbst nannte), seine Auffassungen und Überzeugungen vom Wesen der Welt und vom Sinn des Lebens dar.

 

Literatur volkstümlich und frei von religiösem Pathos

waren Goethes grösste Verdienste in der deutschen Literatur. "Goethe hatte nicht gern mit 'Gott' zu tun; das Wort machte ihn unbehaglich, er fühlte sich nur im Menschlichen heimisch und diese Menschlichkeit, diese Emanzipation der Kunst von den Fesseln der Religion macht eben Goethes Grösse aus. Weder die Alten noch Shakespeare können sich in dieser Beziehung mit ihm messen," (MEW Bd.1, S. 547) schrieb der junge Friedrich Engels 1843. Und diese Weltlichkeit Goethes hatte ein solides Fundament. So verdient, neben seinem umfangreichen literarischem Schaffen, sein naturwisenschaftliches und philosophisches Werk Beachtung. Es sei nur auf seine Dialektik im Gedicht "Methamorphose der Pflanzen" hingewiesen. Aufklärung und Naturwissenschaften waren seine ständigen Anliegen. Als Philosoph stand Goethe Spinoza nah.

 

Dem Christentum und vor allem der Kirche

stand er skeptisch bis ablehnend gegenüber. Das katholische Rom bezeichnete er als "Babel" und "Mutter so vieles Betrugs und Irrtums" (Italienische Reise, 28.8.1787). Eine Kerzenweihe nannte er "Hockuspockus", den kirchlichen Kult verglich er mit Theater und Kaneval: "Das Carneval muss man sehen - so wenig Vergnügen es gewährt; eben so ist mit den geistlichen Mummereien". Den ganzen Katholizismus nannte er: "Durch Pfaffenwesen verunstaltete Lehre". (An Charlotte v. Stein, Knebel, Eckermann)

Seinen Protestantismus behandelte er milder. Dennoch erklärte er, dass er nicht zur Kirche und zum Abendmahl gehe, da er "dazu nicht genug Lügner" sei. Die Dogmen von Erbsünde, Erlösung und die Göttlichkeit Jesu lehnte er ebenso ab - wie die Kreuzsymbolik: viele beschwerliche Dinge war er bereit zu tragen - "...wenige sind mir jedoch wir Gift und Schlange zuwider. Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und Kruzifix". (Venezianische Epigramme) - "Willst du mir zum Gotte machen solch Jammerbild am Holze" (Westöstlicher Divan) - "Das leidige Marterholz, das Widerwärtigste unter der Sonne, sollte kein vernünftiger Mensch auszugraben und aufzupflanzen bemüht sein" (an Zelter). Der sich oft selbst als "Heide" bezeichnende Goethe erkannte sehr gut die gesellschaftliche Funktion der Kirche. Noch wenige Tage vor seinem Tod, am 11. März 1832, fand er im Gespräch mit Eckermann, dass die Kirche nichts mehr fürchte, als die Aufklärung der unteren Masse: "Sie will herrschen, und dazu muss sie eine bornierte Masse haben, die sich duckt und die geneigt ist, sich beherrschen zu lassen".

Eine deutliche Sprache sprechen auch solche Gedichte: "Glaubt nicht, dass ich fasele, dass ich dichte; geht hin und findet mir andre Gestalt! Es ist die ganze Kirchengeschichte Mischmasch von Irrtum und Gewalt". (Zahme Xenien, 9) oder: "Den deutschen Mannen gereicht’s zum Ruhm, dass sie gehasst das Christentum, bis Herrn Carolus leidigem Degen die edlen Sachsen unterlegen"(ebenda). (Carolus = Kaiser Karl der Grosse)

(zitiert nach Karlheinz Deschner. Abermals krähte der Hahn. Stuttgart 1962, S. 660ff.)

 

Eine Einschätzung von Verdiensten und Schwächen

Goethes gab wiederum Friedrich Engels in seiner Schrift 'Deutscher Sozialismus in Versen und Prosa' (1847): "Goethe verhält sich in seinen Werken auf eine zweifache Weise zur deutschen Gesellschaft seiner Zeit. Bald ist er ihr feindselig; er sucht der ihm widerwärtigen zu entfliehen, wie in der Iphigenie und überhaupt während der italienischen Reise, er rebelliert, gegen sie als Götz, Prometheus und Faust, er schüttet als Mephistopheles seinen bitteren Spott über sie aus. Bald dagegen ist er ihr befreundet, 'schickt' sich in sie, wie in der Mehrzahl der Zahmen Xenien und vielen prosaischen Schriften, feiert sie, wie in den Maskenzügen, ja verteidigt sie gegen die andrängende geschichtliche Bewegung, wie namentlich in allen Schriften, wo er auf die französische Revolution zu sprechen kommt. ... Es ist ein fortwährender Kampf in ihm zwischen dem genialen Dichter, den die Misère einer Umgebung anekelt, und dem behutsamen Frankfurter Ratsherrenkind, resp. Weimarschen Geheimrat, der sich genötigt sieht, Waffenstillstand mit ihr zu schliessen und sich an sie zu gewöhnen. So ist Goethe bald kolossal, bald kleinlich; bald trotziges, spottendes, weItverachtendes Genie, bald rücksichtsvoller genügsamer Philister. Auch Goethe war nicht imstande, die Misère zu besiegen, im Gegenteil, sie besiegte ihn, und dieser Sieg, der Misère über den grössten Deutschen ist der beste Beweis dafür, dass sie 'von innen heraus' gar nicht zu überwinden ist. ... Sein Temperament, seine Kräfte, seine ganze geistige Richtung wiesen ihn aufs praktische Leben an und das praktische Leben, das er vorfand, war miserabel. In diesem. Dilemma, in einer Lebensphäre zu existieren, die er verachten musste, und doch an diese Sphäre die einzige, in welcher er sich betätigen konnte, gefesselt zu sein, in diesem Dilemma hat sich Goethe fortwährend befunden, und je älter er wurde desto mehr zog sich der gewaltige Poet, de guerre lasse (des Haderns müde), hinter den unbedeutenden Weimarschen Minister zurück. ... Wir machen überhaupt weder vom moralischen, noch vom Parteistandpunkte, sondern höchstens vom ästhetischen und historischen Standpunkte aus Vorwürfe." (MEW, Bd. 4, S.232-33)

 

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