Dokumentation

Gottlose Lieder

alte und neue Lieder

gegen Klerus und Obrigkeit

 

Titelbild: "Der Dritte Stand erhebt sich gegen Adel und Klerus" (1789)

Zusammengestellt von Heiner Jestrabek

 

Die  Dokumentation "Gottlose Lieder – alte und neue Lieder gegen Klerus und Obrigkeit" soll den FreundInnen des Volkslieds Beispiele darstellen, wie kritische Stimmen zu allen Zeiten Klerus und Obrigkeit aufs Korn nahmen. Das kritische Volkslied fehlt häufig in Liedersammlungen. Kein Wunder, wurden viele dieser oppositionellen Lieder mit wütendem Hass verfolgt. Viele Lieder etwa der Bauernkriege, sind nur aus Gerichts- und Folterprotokollen erhalten geblieben. Sänger, Liedersammler und Drucker von Liederbüchern mussten Selbstzensur üben, um nicht harten Verfolgungen ausgesetzt zu werden.

Dabei gibt es in jeder Gesellschaft, neben der "herrschenden", der erzreaktionären, klerikalen, hurrapatriotischen oder naiv-frömmlerischen Kultur, recht hartnäckige Elemente einer demokratischen Kultur. Die Mehrheit des Volks lebte unter ausbeuterischen Lebensbedingungen und erzeugte notwendig Elemente einer oppositionellen Ideologie. Das Volkslied war bestens geeignet zur Verbreitung anklagender und aufklärerischer Ideen. Volkslieder entstanden spontan im Volk oder von Dichtern, die dem Volk verbunden waren. Eine Dichtung wurde zum Volkslied dadurch, dass sie unter der einfachen Bevölkerung – die nicht oder schlecht schreibkundig gehalten war – mündlich aufgenommen und weiterverbreitet wurde, ja selbst mitarbeitete durch Umgestaltungen, durch neuere aktuellere Variationen oder Stimmungen, ohne sich um die Autorität des Originals zu kümmern. Kein Wunder also, dass einige der populärsten Volkslieder in unzähligen verschiedenen Variationen überliefert sind.

"Dass sich ungeachtet des allgemeinen ideologischen Druckes von oben sowie der besonderen Verfolgung der oppositionellen Lieder dennoch so viele ausgeprägt demokratische, oppositionelle Lieder erhalten haben, beweist noch einmal die grosse Bedeutung die sie für das geistige Leben des Volkes besassen. Obwohl die Zahl derartiger überlieferter Lieder im Verhältnis zur Zahl der überlieferten Volkslieder überhaupt nicht sehr gross ist, ist ihr Gewicht bedeutend. Hinzu kommt, dass der grosse andere Teil der Volkslieder, insbesondere die der Lebensfreude des Volkes Ausdruck gebenden Lieder, in keiner Weise im Gegensatz zu diesen demokratischen Volksliedern steht", schrieb Wolfgang Steinitz im Vorwort seiner pionierartigen Sammlung demokratischer Volkslieder < Q: Steinitz >. Vorher hatte die deutsche Volkskunde ihren Forschungsgegenstand im Wesentlichen als ein, der Tradition verbundenes, konservatives, aber auch Obrigkeit und Kirche treu ergebenes Wesen gesehen. Das entspricht natürlich nicht der Wahrheit. Die Lieder des Bauernkriegs 1525, die Lieder gegen Söldnerdienst und Krieg, gegen soziale Ungerechtigkeit, oder die Lieder der bürgerlichen Revolutionen sprechen ein ausreichendes Zeugnis.

Es gab aber auch immer fortschrittliche Dichter und Sammler, die auch das demokratische Volkslied in ihre Sammlungen mit aufnahmen. Herder, Jakob Grimm, Uhland, Hoffmann von Fallersleben, Erk, Parisius, v. Ditfurth seien hier genannt.

Vor allem aber dem o.g. Wolfgang Steinitz gebührt das Verdienst, erstmals systematisch und speziell zwei Bände nur mit demokratischen Volksliedern herausgegeben zu haben. Ungeschmälert seines Verdienstes sei jedoch bedauert, dass Steinitz ausdrücklich neben patriotischen, Landsknecht- und Soldatenliedern (was verständlich ist) auch die "antipfäffischen" Lieder, ebenso wie "Rinnsteinlieder" und Lieder des "Lumpenproletariats" von seiner Sammlung ausgenommen hat.

Die fehlenden antiklerikalen Lieder sind dafür in der vorliegenden Dokumentation wiedergegeben. Als wichtige Quellen dienten hierbei (siehe 10.0. Quellen), neben Steinitz, die Sammlungen Heide Buhmann, Hanspeter Haeseler <Q: Buhmann, Haeseler> und die der Zupfgeigenhansel (d.s. Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher) <Q: Zupfgeigenhansel>. Buhmann-Haeseler haben den alten Texten bisweilen neue Melodien hinzugefügt, desgleichen die Zupfgeigenhansel, die sich zudem durch ihre grossartige Interpretationen immenses Verdienst um die Popularisierung der fortschrittlichen Volkslieder erworben haben. Ausserdem sei allen in den Quellenangaben genannten gedankt und dem Puplikum empfohlen. - Warum jetzt also noch eine Sammlung mit dem Schwerpunkt antiklerikaler und antiobrigkeitlicher Lieder? Eben weil es hier Nacholbedarf gibt (sogar Steinitz hatte bei "antipfäffischem" Liedgut seine Skrupel).

Die Befreiung vom religiösen Joch stellt einen sehr langen Emanzipationskampf der Menschheit dar, der noch immer nicht abgeschlossen ist. Da ist es den Herrschenden gelungen seit dem 4. Jahrhundert das Christentum zur einzigen offiziellen Staatsreligion zu machen, durch den ersten christlichen Kaiser Konstantin und endgültig ab dem Jahr 391 durch das Edikt des Kaisers Theodosius III. Alle heidnischen Kulte wurden verboten, viele antike Kult- und Kulturstätten wurden zerstört. Zur Staatskirche geworden warfen die christlichen Kleriker schnell alle pazifistischen oder egalitären Lehren der Urchristen über Bord und wurden nunmehr zum ideologischen Überbau einer Sklavenhaltergesellschaft. Die überlieferten Schriften der Christen wurden passenderweise umgeschrieben, verfälscht oder vernichtet und als neu zusammengesetztes Werk "Bibel" zu "Gottes Wort" erklärt. Diese Vorgänge sind sehr gründlich dargestellt und beschrieben in Karlheinz Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" und "Der gefälschte Glaube" <Q: Deschner>. Diese Religion bestimmte für die folgenden über 1000 Jahre nahezu das gesamte geistige Leben Europas. Es begann das "Zeitalter des Glaubens", oder das "finstere Mittelalter". Tatsächlich hatten wir es in der Folgezeit mit Stagnationen und sogar Rückschritten im Erkenntnissprozess der Menschheit zu tun. Die grossartigen Leistungen der Antike, die naturwissenschaftlichen und filosofischen Erkenntnisse wurden mit einem religiösen Schlamm von Unwissenheit bedeckt. Die Theologie wurde für lange Zeit zur nahezu einzigen "Wissenschaft", die Filosofie zur "Magd der Theologie". Eine Zeit der Intoleranz, die alle Andersdenkenden als "Ketzer", andere Lehren als "Häresie" ("Irrlehre") brandmarkte oder vernichtete und alle Spuren vorchristlicher Kultur verschwinden lassen wollte. Aber, "die revolutionäre Opposition gegen die Feudalität geht durch das ganze Mittelalter. Sie tritt auf, je nach den Zeitverhältnissen, als Mystik, als offene Ketzerei, als bewaffneter Aufstand", stellte schon Friedrich Engels fest. In dieser Zeit können wir die ideengeschichtliche Emanzipation der Menschen in Europa nur innerhalb einer religiösen Begrifflichkeit ausmachen.

Da wurden, nach Luthers Bibelübersetzung, zunächst die offenen Widersprüche zwischen christlicher Lehren und dem Leben des Klerus gesehen. Viele Lieder der Bauernkriege beziehen ihre Legitimierung aus diesem Widerspruch. Auch tritt sehr stark die Kritik an der Kirche als weltliche Obrigkeit in den Vordergrund. Die frühen Lieder dieser Sammlung sind deshalb oft auch gar nicht "gottlos", sondern teilweise von sehr frommer Motivation. Wer wollte dies verübeln. Dennoch wurden sie als "gottlos" verfolgt, denn die Auslegung was "gottgefällig" sei, bestimmte der herrschende Klerus, der über tausend Jahre das Bildungsmonol innehatte. Nur sehr langsam setzt ein Prozess der Loslösung vom Religiösen ein. In der europäischen Aufklärung bekennen sich viele Denker zu Religionskritik und einige sogar zum Atheismus, was äusserst gefährlich war. Die Schüler Hegels schliesslich, entlarven die Märchenhaftigkeit der Bibel. Feuerbach und Marx versetzen in der Theorie der Religion den Todesstoß ("Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik!" Marx: Einleitung zu "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie").

Sehr viel langsamer vollzieht sich diese Emanzipation in der Alltagskultur und Volkskunst, wurde das einfache Volk doch nahezu vollständig in Analphabetentum gehalten und von den Erkenntnissen der Naturwissenschaften ausgeschlossen.

Genausowenig wie es Klerus und Obrigkeit früher nicht auf Dauer gelang, das Volk zu bescheissen, sowenig möge es ihnen heutzutage gelingen. Die vorliegende Dokumentation mag hierzu die Traditionslinie bezeichnen. Uns heutigen Menschen sei ein undogmatischer Umgang mit unserem folkloristischen Erbe anempfohlen: Kritik an Klerus und Obrigkeit ist immer noch populär und singen befreit ungemein!

Heiner Jestrabek 1998

 

 

Zurück zur Homepage

Senden Sie uns Ihr eMail: