STURM UND DRANG AUF DER OSTALB

Heimatgeschichtliche Betrachtungen aus dem 18. Jahrhundert - Die exemplarischen Leben des Christian Friedrich Daniel Schubart und des Wilhelm Ludwig Wekhrlin.

von Heiner Jestrabek

   

     

 Ch. F. D. Schubart   -   W. L. Wekhrlin

 

Das Zeitalter der Aufklärung in Schwaben

Ende des 18. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Aufklärung, bildete sich auch in unserer Gegend eine Art bürgerliche Opposition heraus. Der Heidenheimer Oberamtmann Fischer berichtete 1790 an seinem fürstlichen Herrn, dass die französische Revolution in allen Gemütern eine gewisse Sensation erregt habe. In Heidenheim seien zehn Zeitungs-Lesegesellschaften gebildet worden, von denen aber keine Unruhe ausgehe. 1794 beschäftigte sich der Geheime Rat in Stuttgart mit einer Anzeige wegen eines oppositionellen "Klubbs" in Heidenheim. Fischer bestritt zwar dessen Vorhandensein, musste jedoch zugeben, es hätten sich unter der Bevölkerung "Gesellschaften" gebildet, die auch ausländische Zeitungen, darunter auch den "Strassburger Weltboten", hielten. Für gefährlich hielt der Oberamtmann den Bürger Jakob Moser, der durch sein "freches Raisonieren" und die Verbreitung seiner "französischen Grundsätze" wohl gefährlich werden könne. Bereits 1787 war er wegen "Unbotmässigkeit" im Zuchthaus gesessen. Man beschloss auf Moser ein strenges Auge zu haben. Ein Mann also, so richtig nach unserem Geschmack! Die geistigen Wegbereiter der republikanischen Ideen finden wir eben in diesen, oft geheimen, Gesellschaften und im Wirken von mutigen Publizisten. Die beiden bedeutendsten deutschen Journalisten dieser Zeit finden wir gleich beide in unserer Gegend wirkend: Wilhelm Ludwig Wekhrlin (1739-1792) und Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791). Anhand von Schubarts Lebenslauf wollen wir einen Blick in die Zeit von vor rund 200 Jahren tun.

Vom Schubart

Schubart, das war ein Volksdichter, Musiker, rebellischer Untertan, "Stürmer und Dränger", mutiger Journalist, Herausgeber der "Deutschen Chronik", prominentestes Opfer politischer Willkür und bekanntester Gefangener des Hohenasperg. Für uns OstwürttembergerInnen war er zudem noch von besonderem Interesse, da sein hauptsächlicher Wirkungsbereich in unserer direkten Umgegend war: Aalen, Nördlingen, Königsbronn mit Heidenheim, Geislingen und Ulm. In Aalen erinnert ein Denkmal und das "Heimat- und Schubartmuseum", in Geislingen das Heimatmuseum an den bekannten Mitbürger.

Vom widersprüchlicher Charakter

Schubart stellt sich für uns sehr widersprüchlich dar. Einerseits verschenkte er einmal sein letztes Geld einem preussischen Soldaten, andererseits schrieb er leidenschaftlich Gedichte und Lieder gegen Krieg und Söldnerdienst; einerseits schrieb er manchem Fürsten Lobgedichte, andererseits war er ein rebellischer Untertan, scharfer Kritiker von Despotismus, Kleinstaaterei und Fürstenwillkür; einerseits war er noch kein Republikaner, andererseits begrüsste er leidenschaftlich die Französische Revolution; einerseits wurde er von den Literaten des Vormärz und der 1848er Revolution kaum beachtet, andererseits dagegen umso mehr von evangelischen Theologen, wie z.B. David Friedrich Strauss, seinem Biographen; einerseits gibt es Zeugnisse für Schubarts reumütige und selbstanklagende Frömmelei, v.a. an einigen Stellen seiner Autobiographie "Leben und Gesinnungen", andererseits war er ein antiklerikaler Vorkämpfer gegen den Fürstbischof von Ellwangen, die Jesuiten, den Dekan Zilling - der ihn sogar exkommunizieren liess - ein regelrechter Freidenker? Einige Widersprüche werden sich lösen lassen.

Von einer Jugend in Aalen

Am 26. März 1739 ist Schubart in Obersontheim geboren. Der Ort war damals die Residenz des Kleinstaats Grafschaft Limpurg (zwischen Hall und Ellwangen gelegen). Aber schon ein Jahr später übersiedelte die Familie nach Aalen, wo sein Vater als "Präzeptor" (ein studierter Lehrer) und Musikdirektor tätig wurde. Über seine nunmehrige Heimatstadt Aalen äusserte sich Schubart in seinen Memoiren: "In dieser Stadt, die verkannt wie die redliche Einfalt, schon viele Jahre im Kochertale genügsame Bürger nährt - Bürger von altdeutscher Sitte, bieder geschäftig, wild und stark wie ihre Eichen, Verächter des Auslands, trotzige Verteidiger ihres Kittels, ihrer Misthaufen und ihrer donnernden Mundart, wurd ich erzogen... Was in Aalen gewöhnlicher Ton ist, scheint in anderen Städten trazischer Aufschrei und am Hofe Raserei zu sein. Von diesen ersten Grundzügen schreibt sich mein derber deutscher Ton..." über seine Schulzeit schrieb er: "In meinen jungen Jahren liess ich wenig Talent blicken, dagegen mehr Hang zur Unreinheit, Unordnung und Trägheit. Ich warf meine Schulbücher in den Bach, schien dumm und trocken, schlief beständig, liess mich schafmässig führen, wohin man wollte, und konnte im 7. Jahre weder lesen noch schreiben. Plötzlich sprang die Rinde... Im 8. Jahr übertraf ich meinen Vater schon am Clavier, sang mit Gefühl, spielte Violin, unterwies meine Brüder in der Musik und setzte im 9. und 10. Jahre Galanterie- und Kirchenstücke auf..."

Vom Studiosus Schubart

Er war also halb Faulpelz, halb Wunderkind. Er war begabt, aber recht mittellos. So blieb ihm, wie damals üblich, kaum etwas anderes übrig als die Theologie. Mit 14 wurde er zur Vorbereitung auf die Universität in ein Lyzeum nach Nördlingen geschickt. Dort berichtete man über ihn, er habe unzüchtige Billets geschrieben, allzu freien Umgang mit Handwerksburschen gepflegt und seine musikalischen Fähigkeiten zur geselligen Unterhaltung missbraucht. Im Umgang mit Fiedlern und Handwerksburschen entstanden seine ersten volksliedhaften Gedichte, z.B. das "Schneiderlied", das sich über das Muckertum lustig machte. Nach drei Jahren Nördlingen kam er nach Nürnberg. Gerade dort angekommen, brach der Siebenjährige Krieg aus. Preussen und Österreich kämpften um die Vorherrschaft im Deutschen Reich. Der Studiosus Schubart schlug sich voll Begeisterung auf die Seite Preussens. Zur selben Zeit wurden auch seine Texte anonym gedruckt und durch ihren gassenhauerischen Ton schnell populär. Nach Nürnberg begann für ihn eine dreijährige Vakanzzeit als Arbeitsloser bei seinem Vater in Aalen. In dieser Zeit half er Landpfarrern beim Predigen aus, die er schon mal gänzlich in Reimen vortrug. Tadelnd wurde bemerkt, dass es ihm auf der Kanzel "an Fleiss, Salbung und ernstem Bibelstudium" mangele. In diesen Jahren war er auch tätig als bezahlter Lohndichter für Lobhudeleien von kirchlichen und weltlichen Grössen, was damals durchaus üblich war. So erhielt er für eine solche Ode auf den Tod des Kaisers Josef I. einen kaiserlichen Poetentitel, "eine Ehre, derer schon manches Rindvieh gewürdiget worden" war, wie Schubart dies später zähneknirschend feststellte.

Heidenheim mit Schloss Hellenstein von Süden. 1750

Vom Hofmeisterdasein im Amt Heidenheim

In der Vakanzzeit verdingte sich Schubart auch als Hofmeister im Blezingerschen Haus zu Königsbronn und kam von dort häufig nach Heidenheim in Gesellschaft. In seiner Autobiographie schrieb er: "Ich genoss in Heidenheim des öftern Umgang mit den dasigen Ehrenmännern; Tonkunst, und helle, frische Laune verschafften mir auch hier überall Eingang. Damals lag das Bouwinghaufsche Husarenregiment im Heidenheimer Amt, wodurch ich Gelegenheit bekam, mit manchem braven Offizier Bekanntschaft zu machen." Heidenheim zählte übrigens damals gerade 1576 Einwohner, davon waren 57 auf der Wanderschaft, beim Landesherren im Kriegsdienst 16, bei fremden (!) Potentaten im Dienst 15, ortsanwesend also: 1488 Einwohner.

Von Grausamkeiten und Aberglauben

Das Zeitalter der Aufklärung war noch keinesweg bis auf die Ostalb gedrungen. Auf dem hinteren Totenberg, der Richtstätte in Heidenheim, wurde am 13. September 1710 der Freidenker Neumeyer wegen Gotteslästerung vom Scharfrichter Widmann enthauptet. Sein Kopf wurde zur Abschreckung auf einen Pfahl gesteckt. Allgemein üblich war damals auch die Folter und grässliche unmenschliche Hinrichtungsmethoden, wie das aufs Rad flechten. Ein Ende fanden die Hinrichtungen auf dem Heidenheimer Galgenberg durch durchziehende französische Revolutionstruppen. Diese beseitigten den Galgen. Zeichnung von Landesgeometer Amman vom Heidenheimer Galgenberg .Geländeplan von 1798. 1735 findet in Nattheim die letzte Hexenhysterie mit "Untersuchungen" statt. 1723 ist Maria Thumm Opfer einer "Teufelsaustreibung" durch den Nattheimer Pfarrer. Auch 1763 findet so eine angebliche Austreibung bei Anna Bader aus Heuchstetten statt. 1766 meldet der Heidenheimer Dekan, in seiner Gemeinde sei es weithin üblich, dass man, wenn jemand von einem tollen Hund gebissen worden sei, zum nächsten katholischen Ort laufe und den sogenannten Hubertusschlüssel hole, mit dem der Gebissene gebrannt werden müsse. Dies sei am 10. August d.J. bei einem Kind aus Aufhausen geschehen. Der Schmied selbst habe aus Waldhausen den Schlüssel geholt, das Kind und in Aufhausen alles, Kinder, Hunde, Vieh und Schweine gebrannt. (Ob's wohl geholfen hat?) 1775 fand in Deutschland die letzte Hexenverbrennung statt. 1776 wurde offiziell die Folter bei Verhören in Württemberg abgeschafft.

Von der Jagd des Herzogs

Die Heidenheimer Umgegend war ein beliebtes Jagdgebiet des Herzogs von Württemberg. Das Schnaitheimer Jagdschlössle und Schloss Hellenstein waren beliebte Aufenthaltsorte der adligen Jäger. Auch Herzog Carl Eugen war ein guter Reiter und der Jagd zu Pferde leidenschaftlich ergeben, mit Vorliebe hetzte er Sauen über Land. Die Heidenheimer Orte hatten dann jeweils starke Belastungen zu tragen und mussten zahlreiche Leute für die Treibjagd stellen. Allein 1769 sollen 18.400 Treiber gebraucht worden sein, um 82 Heidenheimer Wildschweine zu fangen. In neun Jahren soll der Herzog so auch 241 Hirsche erlegt haben. Im Oberamt Heidenheim mussten für die fürstliche Jagd allein 5298 Morgen Land brach liegen gelassen werden. Trotzdem mussten unsere Vorfahren für dieses Land die vollen steuerlichen Abgaben entrichten. 1764 überliess der Herzog Stadt und Amt Heidenheim den Forst gegen ein Darlehen von 25.000 Gulden. Sobald er aber das Geld in Händen hatte, zog er seinen Forst wieder an sich, ohne sich um die Rückzahlung des Geldes zu kümmern.

Von Wildschützen

Besonders ausgebrägt war deshalb auch das Wildschützenwesen in den Wäldern um Heidenheim herum. 1771 wurde beklagt, es gäbe "viele freche Wilderer". Das Wildschützenwesen war für viele Untertanen ein Ausdruck seiner Freiheitshoffnungen und für die Armen häufig die einzige Möglichkeit an Fleisch zu kommen. Auch für die Landwirtschaft brachte der starke Tierbestand immense Schäden, dass man schon einmal zur Selbsthilfe griff. Dieser Zustand hielt an, bis in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Jagdprivilegien der Fürsten abgeschafft wurden. Allein auf dem Königsbronner Gebiet befinden sich drei Gedenksteine für Opfer des bisweilen blutig ausgetragenen Kampfs zwischen Jägern und Wildschützen. Hierzu lohnt ein Ausflug in das sehenswerte Torbogenmuseum in Königsbronn, das mit einem eigenen Jäger- und Wildererraum ausgestattet ist.

Gedenkstein für den ermordeten Förster Süsskind bei der Köhlerei im "Grossen Brenzel"

Vom Schulmeisterdasein in Geislingen

Schubarts Vakanzzeit hatte 1763 ein Ende, als er nach vielen Mühen eine Stelle als Schulmeister, Organist und Prediger in Geislingen erhielt. Geislingen gehörte damals zur reichsunmittelbaren Stadt Ulm und hatte rund 1500 Einwohner. In Geislingen, wo er seine Frau Helene heiratet und einen Hausstand gründet, muss er täglich mindestens neun Stunden 120 bis 150 Schüler in der deutschen und Lateinschule unterrichten. In der Kirche hatte er Orgel zu spielen und die Musik bei Leichenbegängen zu gestalten. Zur Weihnachtszeit musste er mit seinen Schülern eine Woche von Haus zu Haus herumziehen und betteln (Currendsingen). Jahre später beschrieb er in seiner "Deutschen Chronik", durch eine satirischen Anzeige, wohl seine Geislinger Tage: "Nachricht. Welcher Magister hat Lust Schulmann in - zu werden? - Er muss gut Latein, Griechisch und Hebäisch verstehen; auch etwas Französisch und Italienisch. Im Christentum, Rechnen, Schreiben, Zeichnen, Historie, Geographie, Feldmessen muss er Meister sein. Informieren darf er nicht mehr als Tags 12 Stunden, daneben kann er sich noch mit Privatstunden was verdienen. Da man den Organisten mit ihm ersparen möchte; so wärs gut, wenn er die Orgel spielen, gut geigen und den Zinken [die Posaune] auf dem Turm blasen könnte. Den Geistlichen assistiert er zuweilen im Predigen und Catechisieren. Weil er die Leichen hinausgingen muss, so muss er eine sehr gute Stimme haben. Seine Besoldung besteht aus 100 Gulden an Geld, etwas Naturalien, freie Wohnung, 6 Ellen Krautland, freie Eichelmast und einee Mistststätte vor seinem Haus. Den Rang hat er gleich nach dem Burgerstädtmeister, der gegenwärtig ein Gerber ist; ausser dem solls den Buben nicht erlaubt sein, ihn mit Erbsen zu schiessen. Es wäre dem Magistrat sehr lieb, wenn der Kandidat ledig wäre. Der Vorfahr im Amt hat eine sehr häusliche und gottesfürchtige Witwe hinterlassen. Sie ist zwar schon eine Funfzgerin; kann aber doch noch lange leben." (79. Stück vom 2. Okt. 1775).

Vom Schulwesen in Württemberg

Im evangelischen Württemberg wurden nach 1649 die Volksschulen, mit allgemeiner Schulpflicht, eingeführt. Die Schulmeister waren nur die Bediensteten des Pfarrers, wenig geachtet und mit einem Hungerlohn ausgestattet. Die Schulen unterstanden der evangelischen Kirche. Noch heute ist die württembergische evangelische Kirche besonders stolz auf diese schulische Pionierleistung. Aber wie sah diese Erziehung aus? Der Fächerkanon umfasste, nach der für Württemberg gültigen Schulordnung von 1729, in erster Linie das Memorieren von Bibelsprüchen, Gesangbuchliedern, Katechismusstücken und Gebeten. Im Jahr 1800 waren trotz Schulpflicht immer noch 80 % (!) der Bevölkerung Analphabeten. Die Schule diente also nur nebenbei der Wissensvermittlung. Ihr Hauptziel war vielmehr die Erziehung zu gehorsamen Untertanen. Erst nach der Revolution von 1848/49 gelang es den Religionsunterricht auf 6 bis 7 Stunden wöchentlich zu verkürzen. Erst ab dieser Zeit konnte vermehrt Naturwissenschaft und wirkliche Bildung vermittelt werden.

Schubart fühlte sich von seinen geistlichen Herren, den Ortspfarrern, arg beengt. Er nannte sich selbst damals "den Sklaven zweier tyrannischer Pfaffen". In der Schule, und das wurde ihm übel genommen, verwendete der Lehrer Schubart bisweilen zwei Stilübungen:

"Es ist schon recht; es ist schon recht, Also sprach der Pfaffenknecht." und "Du Hauptmann von Kapernaum, Schlag diesen Pfaffen lahm und krumm, Und schlägst du ihm die Rippen ein, So sollst du Oberstleutnant sein."

Die Konflikte mit den Theologen haben Schubart nicht mehr losgelassen. In seiner Autobiographie schrieb er: "Es war überhaupt von mir die sträflichste Unklugheit, dass ich mich, aus einem gewissen inneren Widerwillen, nie mit der Geistlichkeit vertragen wollte. Ich bedachte nicht, dass sie fast überall, zum Teil auch in protestantischen Landen, eine furchtbare Kette bilden; man darf nur ein Glied im Zorn entzünden: so glühen gemeiniglich die übrigen Glieder der grossen Kette alle." Interessant sind auch Schubarts selbstverfasste Texte für den Unterricht. Eine Fabel über einen Schulmeister und ein Anti-Kriegs-Gedicht:

"In Africa ist ein Tier mit Namen Plimpplamp, von ganz wunderbarer Art. Es hat keine Galle, keinen Magen und doch einen vortrefflichen Tier-Verstand. Es arbeitet von Morgen bis zum Abend und reiniget den Wald von allem Kote, den die jungen Bestien schmeissen. Wann es nun genug gearbeitet hat, so riecht es dreimal in den Wind, und lebt also würklich von der Luft. Es ist so geduldig, dass es sich ganz gelassen von allen wilden Tieren ins Gesicht pissen lässt. Es ist immer hungrig und frisst doch nichts; immer durstig und trinkt doch nichts; es arbeitet beständig und hat Dreck zum Lohne. Es hat ein gutes Gesicht und sieht doch nichts; einen scharfen Geruch und riecht doch nichts. Es ist im ganzen Wald das nützlichste Tier und wird doch von den andern Tieren für das schlechteste gehalten. Dieses arme Tier hat in seinem ganzen Leben nur einen einzigen glücklichen Tag, nämlich den Tag - wann es verreckt. Was muss das doch für ein Tier sein? Hm! Was sonst als ein verwandelter Schulmeister, wenigstens sind unsre Schulmeister die Moral zu dieser Fabel."

"Schiessen möcht ich hören, wann die Kugel noch Leberknöpflen wären: gäb es doch kein Loch. Säbel sind ein Wurst. Mit Bratwürsten hauen Das ist meine Lust. Solche Krieg sind schöner Die ergötzen uns Nun ich bin Dein Diener ...Michel Blunz."

oben: aus einem Flugblatt, dass das Wohlleben der Pfarrer dem armseligen Dasein des Schulmeisters gegenüberstellt. unten: Schulmeister bei der Landarbeit. Schubarts sechs Geislinger Jahre, gekennzeichnet von der geistiger Enge einer damaligen Provinzkleinstadt, endeten mit seiner Anstellung als Musikus am Hof des Württembergischen Herzogs in Ludwigsburg. über Geislingen schrieb er zum Abschied, "dass ich seithero ein armseliges Einkommen gehabt habe und mich kaum vor Schulden bewahren konnte".

Vom Musikus in der Residenz

Schubarts weltlicher Lebensstil in Ludwigsburg, beschrieben durch "Brauskopf und gewaltiger Trinker, Spassvogel und genialer Unterhalter", dazwischen wieder Liebschaften und ständiger Konflikt mit seinem Dekan Zilling, der ihn sogar wegen einer Satire "auf eine Standesperson" exkommunizieren liess und ihm somit das Orgelspielen unmöglich machte, führten schliesslich zu seiner Entfernung aus Ludwigsburg. 1773 wurde er seines Postens enthoben, durch den herzoglichen Erlass "dahero dem Schubart hie von die Eröffnung zu tun, mit dem Bedeuten, sich aus Unsern Herzoglichen Landen unfehlbar zu entfernen".

Vom Kirchenleben in Württemberg

Die Untertanen konnten ihre Religion nicht frei wählen. Der Landesherr bestimmte selbstherrlich über das religöse Bekenntniss seiner Untertanen und hatte die Leitung der evangelischen Landeskirche in Württemberg inne. 1644 wurden in Württemberg "Kirchenkonvente" eingeführt. Initiator dieser theologischen Spezialität war der Calwer Dekan Johann Valentin Andreae (1585-1654) . Es waren dies örtliche Sittengerichte unter dem Vorsitz des Ortspfarrers. Diese Kirchenkonvente, die erst 1891 offiziell abgeschafft wurden, verhandelten und bestraften die Verfehlungen der Untertanen, wie z.B. Kirchensäumigkeit, Fluchen, Sonntagsarbeit, Zaubern, Trinken, Raufhändel und das "Zusammenschlupfen" unverheirateter Paare. Bestraft wurden auch ledige Mütter und Kindsgeburten vor dem neunten Monat nach Eheschluss. Die Strafen konnten recht drakonisch sein: Geldstrafen, Einsitzen und Prangerstehen mit entsprechenden Schandmasken. (Ein recht lebendiges Bild hiervon bietet sich den Besuchern des sehenswerten Kriminalmuseums in Rothenburg o.d.Tauber). Am Sonntag und an Feiertagen herrschte Teilnahmepflicht beim Gottesdienst. Streng beachtet wurde auch das Gebot zur Sonntagsruhe: keine Fuhrwerke, Wirtschaftsbesuche, Tanzen und Spielen, Lärmen und Erledigungen. Umgänger kontrollierten während der Gottesdienste die Häuser. Hierzu musste sogar die Hausschlüssel deponiert werden. Büttel beaufsichtigten in der Kirche die Gläubigen und schauten streng nach Schläfern und Schwätzern. Geregelt war dies in den Verordnungen der Württembergischen Landeskirche von 1654, die alle zwanzig bis dreissig Jahre erneuert wurden, bis 1844. Eine folgenreiche Verordnung war auch das "Generalrescript" von 1781 gegen die "Übelhäuser". Jeder, der seine Landwirtschaft schlecht betrieb oder sein Haus "verludern" liess, konnte enteignet werden (!). Die Verhandlung hierzu fand vor dem Kirchenkonvent statt. Gezielt wurde das Einander-Beobachten und Verpetzen gefördert, denn der Petzer erhielt das "Anbringdrittel", ein Drittel der entsprechenden Geldstrafe oder des enteigneten Besitzes. Keiner traute sich nunmehr, seine Wirtschaft zu vernachlässigen. Nach aussen hin musste man so tun, als ob man niemals müssiggängig wäre und immer schwer schaffig sei. Überbleibsel dieser "Landessitten" sind heute noch die übertriebene Putzsucht und die Institution der Kehrwoche bei den Schwaben. Eine treffende Beschreibung dieser Zeit gelang Hermann Kurz in seinem dokumentarischen Roman "Der Sonnenwirt". Das Schicksal des "edlen Räubers" Friedrich Schwan, des Sonnenwirtle von Ebersbach, beschreibt anschaulich die Scheinheiligkeit und Niedertracht dieser Kirchenkonvente im Württemberg jener Zeit.

Hermann Kurz / Der Sonnenwirt. Eine schwäbische Volksgeschichte. 1846-1855. Neuauflage Schweier-Verlag Kirchheim/Teck. 1983.

Vom Auernheimer Aufstand

In den katholischen Gebieten war das geistige Leben nicht weniger beengt. Die recht wirksame Methode der Ohrenbeichte ermöglichte der Obrigkeit, die Untertanen gut im Zaum zu halten. Dennoch kam es auch hier zu offener Rebellion. Stadt und Kloster Neresheim um 1790 Auernheim war 1764 von Oettingen an das Kloster Neresheim abgetreten worden. 1777 erhoben sich die Untertanen zur offenen Rebellion, dem "Auernheimer Aufstand". Gerade zu dieser Zeit, als der Bau der weltberühmten Neresheimer Abtei kurz vor seiner Vollendung stand, wollte der Abt Benedikt Maria Angehrn die imensen Baukosten durch vermehrte Ausbeutung seiner Untertanen auffangen. Der Abt macht nun Anordnungen "zur Anrichtung einer besseren Wirtschaft der Gemeinde". Die Auernheimer aber argwöhnten darin Anschläge, ihnen das Ihrige zu entziehen. Die Unzufriedenen kamen in einem Haus, dass Württemberg gült- und vogtbar war, zusammen, erklärten den klösterlichen Schultheissen und Bürgermeister für abgesetzt und stellten aus ihrer Mitte zwei Bürgermeister auf. Ausserdem drohten sie, einen anderen Schutzherren, den von Oettingen-Wallerstein, zu suchen. Es wurde sogar beim Reichskammergericht geklagt. Der Spruch, dass "unterm Krummstab gut leben wäre", galt für die Auernheimer nicht. Es kam zu einer militärischen Besatzung, fortgesetzten Strafen, Gefängniss- und Zuchthausstrafen für die berechtigten Empörer. An die Auernheimer Rebellen und alle Neresheimer Untertanen, die ja diesen Prachtbau finanziert hatten, sollte auch gedacht werden, wenn man die bekannte Abtei, mit den Künsten des Balthasar Neumann und Martin Kneller, besichtigt.

Vom Reiseleben

Nach Schubarts unrühmlichem Abschied aus Ludwigsburg, begann für ihn ein langjähriges Reiseleben durch ganz Süddeutschland. In Mannheim legte er sich mit den Jesuiten an: "Ich machte gewaltige Ausfälle gegen diese schwarzen Gesellen, die aber solcher papierernen Blitze nicht achteten und mich dagegen mit bitterem Grimme verfolgten." In München blieb er einige Zeit und wäre beinahe aus beruflichen Gründen katholisch geworden. Die Auskünfte aus Stuttgart über ihn aber, brachten das vernichtende Urteil, "dass ich keinen heiligen Geist glaubte und vorzüglich deswegen das Württembergische habe räumen müssen." So wurde er auch in München verabschiedet.

Von der Deutschen Chronik

Schliesslich wurde er in Augsburg Journalist. Am 31. März 1774 erschien die erste Ausgabe seiner "Deutschen Chronik", einer Zeitschrift, die "um einen billigen Preis, auf jedem Postamte in Deutschland gekauft werden konnte". Die "Deutsche Chronik" war ein volkstümliches Blatt, das sich mit politischen Fragen befasste und literarische, pädagogische und poetische Beiträge brachte. Die Chronik war ausserordentlich erfolgreich und bald das wichtigste puplizistische Organ der bürgerlichen Opposition im ganzen Deutschen Reich. Schubart war jetzt 35 Jahre alt und hatte endlich einen Beruf, der Dauer und Einkommen versprach. 1775 wurden 1600 Exemplare verkauft. Da die Chronik viel herumgereicht wurde, hatte sie bis zu 20.000 Leser. Nach nur fünf Wochen wurde der Druck in Augsburg untersagt und musste nach Ulm verlegt werden. Die katholische Partei in Augsburg sah in Schubart ihren Hauptfeind. So wurde Schubarts Schlafzimmer mit einem Steinhagel bedacht, vor dem er nur unter seinem Bett Schutz fand. Besonders intensiv legte sich die Chronik mit dem Orden der Jesuiten an. Diese verbrannten sogar ein Spottgedicht des antiklerikalen Schubart öffentlich. Schubart schrieb in der Chronik: "den Geist dieses Ordens, der sich wie epidemischer Hauch im Finstern oder am hellen Mittage verderbend in einem Staat verbreitet". Und "Die Zahl der Freunde und Verteidiger des Jesuitenordens vermindert sich täglich. Die Partei der Grossen und der Verständigen ist gegen sie. Dass hier und da katholischer Pöbel noch ein Seufzerlein für sie gen Himmel schickt, machts nicht aus. Die Welt sieht nun einstimmig ein, dass die Verdienste dieses Ordens nicht so gross gewesen, als man anfangs glaubte. Die Katholischen machen nun die herrlichsten Erziehungsanstalten ohne Beistand der Jesuiten, und wir Protestanten haben schon längst in allen Teilen der Wissenschaften Meister aufzuweisen, ohne unsere Weisheit aus den Schulen oder Schriften der Jesuiten geholt zu haben. In der Mathematik und Physik hatten sie einige sehr gute und brauchbare Männer, in allen andern Wissenschaften aber würd' es schädlich sein, ihre Grundsätze fortzupflanzen. Ihre Theologie ist ein weitläuftiges, scholastisches Gewirre, das das Herz nicht bessert und den Verstand mit unnützen Subtilitäten anfüllt. Ihre Methode, die Philosophie zu lehren , ist steif und unnütze. Schwimmt auch hier und dar eine grosse Leibnizsche Idee in ihren Systemen; so ersticken sies wieder in ihrem eignen Wuste. Ihre Moral ist verderblich und dem Staate nachteilig und in den schönen Wissenschaften haben sie kaum etwas mehr getan - als gelallt." (Aus dem 14. Stück vom 16. Februar)

Vom Scharlatan in Ellwangen

Angehörige der Jesuiten waren auch in die Affäre Gassner verwickelt. Der katholische Pfarrer Gassner hatte sich mit Wunderheilungen und Teufelsaustreibungen einen Namen gemacht. Beim Fürstbischof von Ellwangen gelang es ihm, die geistige Residenz zu einer lukrativen Wallfahrtsstätte auszubauen. Schubart schrieb:

"Der Pfarrer Gassner zu Klösterle fährt fort, den dummen Schwabenpöbel zu blenden. Er heilt Höcker, Kröpfe. Epilepsien - nicht durch Arzneien, sondern bloss durch Handauflegen seiner hohepriesterlichen Hand. Kürzlich hat er ein herrliches Buch herausgegeben, wie man dem Teufel widerstehen soll, wenn er in Menschen und Häusern rumort. Und da gibt's noch tausend Menschen um mich her, die an diese Narrheiten glauben. - Heiliger Sokrates, erbarme dich meiner! Wann hören wir doch einmal auf, Schwabenstreiche zu machen!"

Schubart erntete einen Schwall von Schmähschriften und eine Hausdurchsuchung, sowie eine Arretierung und musste schliesslich die Stadt Augsburg verlassen.

Von der Chronik in Ulm

Im Januar 1775 zog Schubart mit seiner Chronik nach Ulm um. Die Chronik entwickelte sich jetzt erst richtig. Die meisten Beiträge der wichtigsten deutschen Oppositionszeitschrift schrieb Schubart selbst. Er vertrat darin einen Patriotismus, der gerichtet war gegen die über 300 deutschen Länder mit Landesgrenzen und Zöllen und gegen die Selbstherrlichkeit der Landesherren. Sein Partiotismus zielte auf eine Wiederbelebung des Reichsgedankens und gegen die teuren Hofhaltungen der Kleinfürsten. Er machte sich auch Illusionen über die politische und moralische Kraft Preussens. Von hier aus könnte es Impulse für eine Einigung des Vaterlandes geben. Politische Sympathien hatte Schubart für die Schweiz und den Freiheitskampf der amerikanischen Kolonien. Ein entschiedener Republikaner war er noch nicht. Er hoffte noch auf "aufgeklärte" und "milde" Fürsten. Die Französische Revolution begrüsste er später und besonders die Staatsform der 1791 eingeführten konstitutionellen Monarchie. Schubarts Partiotismus hatte vor allem aber auch eine soziale Komponente. Es ging ihm um die Emanzipation der unteren Stände, die die Fürsten verhinderten um sich weiter ihr luxuriöses Leben erhalten zu können. In Ulm fühlte sich Schubart sichtlich wohl. Der wachsende Erfolg der Chronik sicherte ihm ein Einkommen. Er hatte vielfältige Kontakte und auch kleinere Reibereien mit den Autoritäten der Stadt. Davon zeugt sein Epigramm:

"Befehl einer schwäbischen Reichsstadt: Kund und zu wissen ist: Ihr Bürger, macht die Strassen rein Von allem Kot und Mist; Sonst legt der Magistrat sich drein!"

Die Chronik fand Verbreitung bis nach London, Paris, Amsterdam und Petersburg. In dieser Zeit entstand auch Schubarts Erzählung "Zur Geschichte des menschlichen Herzens", das Schiller die Fabel für sein späteres Drama "Die Räuber" lieferte. Er gab als Musiker Konzerte und sogar die Zensur war ihm wohlgesonnen wie nie zuvor. Er machte sich aber auch viele Feinde. über den württembergischen Herzog schrieb er:

"Ihr Herzog ist hier durchpassiert und war ungemein gnädig. Er hat einen hiesigen Patriziersohn in die Sklavenplantage [die Hohe Carlsschule, wo auch Schiller dressiert werden sollte] aufgenommen. Seine Donna Schmergalina [seine Mätresse Franziska von Hohenheim] sass neben ihm wie Mariane an Achmets Seite. Aller Fürstenglanz ist in meinen Augen nicht mehr als - das Glimmen einer Lichtputze - es glimmt und stinkt."

Dies erregte natürlich des Herzogs Grimm.

Vom Märtyrertod des Freigeistes Nickel

Auch mit seinen alten Widersachern, den Jesuiten gab's Ärger. Ein Vorfall sollte die Brutalität und Gefährlichkeit dieser Klerikalen zeigen. Knapp ausserhalb der Ulmer Stadtmauern, in Wiblingen, wurde Josef Nickel, ein entlaufener Jesuitenschüler, der sich zu den Schriften Wielands, Lessings und Votaires bekannt hatte, gegen den Pater Gassner redete und offen für Schubart eintrat, unter dem Vorwurf der Ketzerei verhaftet, zum Tode verurteilt und "im Jahr des Heils 1776, am ersten Juni, Morgens 8 Uhr" geköpft. Schubart, der ihm einen Roman geliehen hatte, wurde beschuldigt, der Verursacher der "Religionsbeschimpfung und Gotteslästerei" Nickels gewesen zu sein. "Dieser Zufall kerkerte mich gleichsam in Ulm ein, weil mir ein gleiches Schicksal drohte".

Von Wundern in Ellwangen

Eine Reise nach Ellwangen und Aalen musste Schubart deshalb unter falschem Namen antreten. Der Fürstprobst von Ellwangen machte noch immer die besten Geschäfte mit Wallfahrten und den Wunderheilungen des berüchtigten Pater Gassner. Schubart berichtet: "Die Strasse von Aalen nach Ellwangen wimmelte eben damals von elenden Pilgrimen, welche bei Gassnern Hilfe suchten. Das tausendfältige Elend von zehn, zwanzig, dreissig Meilen in die Länge und Breite schien in dieser Gegend zusammengedrängt zu sein. Alle Herbergen, Ställe, Schafhäuser, Zäune und Hecken lagen voll von Blinden, Tauben, Lahmen, Krüppeln, von Epilepsie, Schlagflüssen, Gicht und anderen Zufällen jämmerlich zugerichteten Menschen. Was Krebs, Eiter, Grind und Krätze Ekelhaftes, Abscheuliches, Entsetzliches hat, - selbst was die Seele drückt und entmannt - Schwermut, Wahnsinn, Tollheit, stille Wut, Raserei, teuflische Anfechtungen - war hier in Aalen und auf dem Wege nach Ellwangen an Krücken, an Stecken, auf Eseln, Pferden, Karren, in Tragtüchern, auf Reffen und Bahren in einer schrecklichen Gruppe zusammengedrängt zu sehen. 0, dachte ich, Gassner, wenn du all diesem Jammer abhilfst, all dies Elend im Namen Jesu wegsprichst, so will ich auf den Knien zu dir kriechen und dir meinen Unglauben mit gefalteten Händen abbitten. Aber leider! kamen diese Elenden noch elender zurück; denn da sie auf der Reise nicht selten all ihre Habe verzehrt hatten, so mussten sie nun betteln und zum Teil auf der Strasse zu Grunde gehen." Ironie des Schicksals: Noch heute ist Ellwangen offizieller katholischer Wallfahrtsort für Kranke, die sich dort Wunderheilungen versprechen!

Von der Unschädlichmachung eines Freigeistes

Der unbequeme Journalist Schubart sollte unschädlich gemacht werden. Und es begann ein Komplott mit der herzoglichen Order vom 18. Januar 1777: "An den Kloster-Oberamtmann Scholl in Blaubeuren (nahe Ulm) ergangen. Sie wurde eingeleitet mit dem Hinweis, dass der -gewesene Stadtorganist Schubart teils um seiner schlechten und ärgerlichen Aufführung willen, teils wegen seiner sehr bösen und sogar Gotteslästerlichen Schreibart auf untertänigsten Antrag des Herzoglichen Geheimen Rats und Consistorii seines Amtes entsetzt und von dort weggejagt worden ... Dieser sich nunmehro zu Ulm aufhaltende Mann fährt bekanntermassen in seinem Geleise fort, und hat es bereits in der Unverschämtheit so weit gebracht, dass fast kein gekröntes Haupt und kein Fürst auf dem Erdboden ist, so nicht von ihm in seinen herausgegebenen Schriften auf das freventlichste angetastet worden, weiches Se.Herzogl.Durchlt. schon seit geraumer Zeit auf den Entschluss gebracht, dessen habhaft zu werden, um durch sichere Verwahrung seiner Person die menschliche Gesellschaft von diesem unwürdigen und ansteckenden Gliede zu reinigen. Sich dieserwegen an den Magistrat zu wenden, halten Höchstdielbe für zu weitläufig und dürfte vielleicht den vorgesetzten Endzweck gänzlich verfehlen machen; wohingegen solcher am besten dadurch zu erreichen wäre, wenn Schubart unter einem scheinbaren oder seinen Sitten und Leidenschaften anpassendem Vorwande auf unstreitig Herzogl. Württembergischen Grund und Boden gelockt und daselbst dort gefänglich niedergeworfen werden könnte."

Die von langer Hand vorbereitete Intrige, auf Geheiss Herzog Karl Eugens und die, als wahrscheinlich geltende, Mitwirkung der Jesuiten bei der Denunziation und Verhaftung, lockte Schubart unter einem Vorwand nach Blaubeuren ins Württembergische. Dort wurde er verhaftet und zum Hohenasperg geschafft. So begann seine über zehn Jahre dauernde Zeit auf dem Asperg, ohne Anklage, ohne Prozess. der mutige Schubart sollte mundtot gemacht werden und dies sollte zu Abschreckung für alle Freigeister im Land dienen. Schubarts Haft begann zunächst mit 377 Tagen Totalisolation. Karl Eugen hielt Schubart für eine Art "deutschen Votaire" und wollte an ihm ein Exempel statuieren: seine Freigeisterei unter allen Umständen austreiben, um den Widerstandswillen seines Volks zu brechen. Er bediente sich hierzu eines pädagogischen Experiments: Schubart sollte zu einem frommen und kirchentreuen Untertanen umerzogen werden. Ein so gewandelter Schubart sollte wohl mehr nützen, als ein hingerichteter Freiheitsmärtyrer.

 

Von der religiösen Gehirnwäsche

Die Umerziehung wurde eingeleitet von dem brutalen Festungskommandanten Oberst Rieger und einem alten Bekannten, Schubarts Ludwigsburger Widersacher, Dekan Zilling. Diese beiden Leuteschinder führten einen bezeichnenden Briefwechsel über die Frage, wann und wie der Sünder wieder an Tröstungen der heiligen Religion herangeführt werden sollte. Der sich als geistiger Beistand tarnende religöse Drill muss einer Gehirnwäsche gleichgekommen sein. Schubart wurde zermürbt und verfiel in grässliche Reueschwüre und Selbstanklagen. Er litt an Depressionen und kam sogar so weit, Gott für die Gefängnishaft, als Chance zur Einkehr, zu danken. Vieles davon drückt sich in Schubarts später geschriebenen Lebenserinnerungen aus, die voll von deprimierenden Selbstanklagen und Selbstzweifeln sind. Schubart war schliesslich weitgehend isoliert und zermürbt. Jahrelang durfte ihn noch nicht einmal seine Frau besuchen. Wer wollte ihm da seine Schwäche vorwerfen? Von der Fürstengruft 1780 hoffte Schubart auf die Zusage zu seiner Entlassung, wurde aber enttäuscht. Seine trotzige Reaktion war die Fürstengruft:

Die Fürstengruft

Da liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer, Ehmals die Götzen ihrer Welt! Da liegen sie, vom fürchterlichen Schimmer Des blassen Tags erhellt! Die alten Särge leuchten in der dunkeln Verwesungsgruft wie faules Holz; Wie matt die grossen Silberschilde funkeln, Der Fürsten letzter Stolz! Entsetzen packt den Wandrer hier am Haare, Geusst Schauer über seine Haut, Wo Eitelkeit, gelehnt an eine Bahre, Aus hohlen Augen schaut. Wie fürchterlich ist hier des Nachhalls Stimme, Ein Zehentritt stört seine Ruh'! Kein Wetter Gottes spricht mit lauterm Grimme: 0 Mensch, wie klein bist du! Denn ach! hier liegt der edle Fürst, der gute, Zum Völkersegen einst gesandt, Wie der, den Gott zur Nationenrute irn Zorn zusammenband. An ihren Urnen weinen Marmorgeister, Doch kalte Tränen nur, von Stein, Und lachend grub vielleicht ein welscher Meister Sie einst dem Marmor ein. Da liegen Schädel mit verloschnen Blicken, Die ehmals hoch herabgedroht, Der Menschheit Schrecken, denn an ihrem Nicken Hing Leben oder Tod. Nun ist die Hand herabgefault zum Knochen, Die oft mit kaltem Federzug Den Weisen, der am Thron zu laut gesprochen, In harte Fesseln schlug. Zum Totenbein ist nun die Brust geworden, Einst eingehüllt in Goldgewand, Daran ein Stern und ein entweihter Orden Wie zween Kometen stand. Vertrocknet und verschrumpft sind die Kanäle, Drin geiles Blut wie Feuer floss, Das schäumend Gift der Unschuld in die Seele Wie in den Körper goss. Sprecht Höflinge, mit Ehrfurcht auf der Lippe, Nun Schmeichelein in's taube Ohr! Verräuchert das durchlauchtige Gerippe Mit Weihrauch, wie zuvor! Er steht nicht auf, euch Beifall zuzulächeln, Und wiehert keine Zoten mehr, Damit geschminkte Zofen ihn befächeln, Schamlos und geil, wie er. Sie liegen nun, den eisern Schlaf zu schlafen, Die Menschengeisseln, unbetraurt, Im Felsengrab, verächtlicher als Sklaven, In Kerker eingemaurt. Sie, die im ehrnen Busen niemals fühlten Die Schrecken der Religion, Und gottgeschaffne, bessre Menschen hielten Für Vieh, bestimmt zur Fron; Die das Gewissen, jenen mächtigen Kläger, der alle Schulden niederschreibt, Durch Trommelschlag, durch welsche Trillerschläger Und Jagdlärm übertäubt; Die Hunde nur und Pferd' und fremde Dirnen Mit Gnade lohnten, und Genie Und Weisheit darben fiessen; denn das Zürnen Der Geister schreckte sie; - Die liegen nun in dieser Schauergrotte Mit Staub und Würmern zugedeckt, So stumm! so ruhmlos! noch von keinem Gotte Ins Leben aufgeschreckt. Weckt sie nur nicht mit eurem bangen ächzen Ihr Schaaren, die sie arm gemacht, Verscheucht die Raben, dass von ihrem Krächzen Kein Wütrich hier erwacht! Hier klatsche nicht des armen Landmanns Peitsche, Die Nachts das Wild vom Acker scheucht, An diesem Gitter weile nicht der Deutsche, Der sich vorüberkeucht! Hier heule nicht der bleiche Waisenknabe, Dem ein Tyrann den Vater nahm; Nie fluche hier der Krüppel an dem Stabe, In fremdem Solde lahm. Damit die Quäler nicht zu früh erwachen, Seid menschlicher, erweckt sie nicht. Ha! früh genug wird über ihnen krachen Der Donner am Gericht. Wo Todesengel nach Tyrannen greifen, Wenn sie im Grimm der Richter weckt, Und ihre Gräul zu einem Berge häufen, Der flammend sie bedeckt. Ihr aber, bessre Fürsten, schlummert süsse Im Nachtgewölbe dieser Gruft! Schon wandelt euer Geist im Paradiese, Gehüllt in Blütenduft. Jauchzt nur entgegen jenem grossen Tage, Der aller Fürsten Taten wiegt; Wie Sternenklang tönt euch des Richters Waage, Drauf eure Tugend liegt. Ach, unterm Lispel eurer frohen Brüder - Ihr habt sie satt und froh gemacht - Wird eure volle Schale sinken nieder, Wenn ihr zum Lohn erwacht. Wie wird's euch sein, wenn ihr vom Sonnenthrone Des Richters Stimme wandeln hört: "Ihr Brüder, nehmt auf ewig hin die Krone, Ihr seid zu herrschen wert."

Zur gleichen Zeit ging das Gerücht um, Schubart könnte nach seiner Entlassung Lehrer an der Carlschule werden. Nach der Aufhebung des Schreibverbots schrieb Schubart über dieses Ansinnen seiner Frau:

7. Januar 1781: "Im übrigen dank ich Gott, dass ich nicht in die Akademie komme. Dieser Posten hat für mein Temperament und jetzigen Grundsätzen so viel Widerliches, dass ich meinen Ekel nicht beschreiben kann. Ich taug in keine Sklavenfabrik. Lieber als Dorfschulmeister für's Reich Jesu arbeiten als mit dem Titel eines Professors Sklav sein und Sklaven machen. Unterwürfigkeit werd' ich mir überall gefallen lassen, und das hab' ich gewiss in meiner vierjährigen Gefangenschaft gelernt, aber meinem Geist Fesseln anlegen lassen und selbst Geister in Ketten legen helfen, dafür behüt mich, lieber Herre Gott!"

Dieser Brief und die schnell populär gewordene "Fürstengruft" klangen natürlich ganz anders, als die Bekenntnisse eines reuigen Sünders. Schubart hatte sich wohl wieder gefangen und seine Peiniger genarrt. Die Nachwelt mag sich selbst darüber ein Urteil bilden, ob Isolationshaft und religiöse Gehirnwäsche bei Schubart nachhaltig gewirkt hatten, oder ob er sie nicht alle an der Nase herumgeführt hatte.

Vom Söldnerhandel und Kapregiment

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wuchs die Zahl der als Söldner verkauften Landeskinder erheblich an. 30.000 arme Schlucker, hauptsächlich aus Hessen, dienten für England in den amerikanischen Kolonialkriegen. Nur knapp die Hälfte kehrte wieder zurück. Der württembergische Herzog Karl Eugen hatte bereits 1757, ohne Einverständnis der Landesstände, 6000 Württemberger gegen drei Millionen Gulden an Frankreich, für den Kampf gegen Preussen, abgetreten. Das Land sah mit grosser Abneigung diese Kriegsspielereien des Herzogs und es ging bei den Truppen die Losung um: Nach Böhmen bringt Er uns nicht!" Die württembergischen Soldaten rebellierten und desertierten. Der Herzog liess darauf 16 Landeskinder standrechtlich erschiessen. Einer davon war der Nattheimer Christof Schmid. Jetzt liess er eine Truppe von 2000 Mann für die Ostindische Kopagnie ausheben, zum Schutz derer wirtschaftlichen Interessen. Dieses "Kapregiment" diente 24 Jahre. Für Nachwuchs wurde gesorgt. Karl Eugen erhielt dafür über 400.000 Gulden. Die Truppen waren zwar offiziell Freiwillige, insgeheim hatte man aber ganze Dörfer umstellt und die jungen Burschen einfach zur Unterschrift gezwungen. Aus dem Amt Heidenheim kamen insgesamt 58 Rekrutierte nach Übersee. 44 von ihnen starben auf See, am Kap von Südafrika oder in Niederländisch-Indien. Von den insgesamt 3200 Württembergern kamen 2300 ums Leben, nur knapp 100 (!) sahen die Heimat wieder. Da die Mannschaft des Kapregiments zeitweilig auf dem Asperg stationiert waren, schrieb der Gefangene Schubart: 22. Februar 1787: "Künftigen Montag geht das aufs Vorgebirg der guten Hoffnung bestimmte württembergische Regiment ab. Der Abzug wird einem Leichenkondukte gleichen, denn Eltern, Ehemänner, Liebhaber, Geschwister, Brüder, Freunde verlieren ihre Söhne, Weiber Liebchen, Brüder, Freunde - wahrscheinlich auf immer. Ich hab ein paar Klagelieder auf diese Gelegenheit verfertigt um Trost und Mut in manches zagende Herz auszugiessen. Der Zweck der Dichtkunst ist, nicht mit Geniezügen zu prahlen, sondern ihre himmlische Kraft zum Besten der Menschheit zu gebrauchen." Das "Kaplied" und das Gedicht "Für den Trupp" wurden in einer Broschüre gedruckt und fanden ungeheure Verbreitung. Dazu vertonte Schubart die Verse. Schiller besucht Schubart auf dem Hohenasperg

Von der wiedergewonnen Freiheit

Schiller war 1782 aus Württemberg geflohen und Schubart war inszwischen zu einer Legende geworden. Die ungeheure Wirkung und Verbreitung der "Fürstengruft", sowie die Tatsache, dass Schubart unrechtmässig inhaftiert war, hatten ihn im ganzen Deutschen Reich bekannt gemacht. überall wurden seine Gedichte gedruckt, sogar legal in Württemberg. Für den Herzog war dies sogar ein Geschäft, denn für die Werke Schubarts strich er 2000 Gulden ein und überliess dem Autor nur 1000 Gulden von den Einnahmen. Zahlreiche Prominente setzten sich für die Freilassung Schubarts ein: Lavater, Goethe, Campe, der Markgraf von Baden und mehrere Prinzen deutscher Herrscherhäuser. Am 11. Mai 1787, nach zehn Jahren und vier Monaten, wurde Schubart aus der Haft entlassen. Er erhielt sogar als Gnadenbrot eine Stelle als Stuttgarter Hofpoet, Musik- und Theaterdirektor. Ein Staatsfeind im Staatsdienst war wohl weniger gefährlich als ein emigrierter politischer Journalist. Der inzwischen 48jährige Schubart war indess froh erstmal einen Beruf zu haben. Er genoss die wiedergewonnene Freiheit und reiste in einem Triumpfzug durch die Orte seines Wirkens: Geislingen, Ulm, Aalen.

Vom unbeugsamen Schubart

Sechs Wochen nach seiner Entlassung erschien auch wieder seine Zeitung, jetzt als "Vaterländische Chronik", später als "Vaterlandchronik", dann ab 1790 nur noch als "Chronik". Bereits die erste Nummer machte ihm Schwierigkeiten, wie könne es auch anders sein? In den vier Jahren, die Schubart noch verblieben, brachten seine kritischen Berichte unentwegt Proteste der Regierungen von Dänemark, Österreich, Preussen, Sachsen usw. 1788 wurde die Chronik in Pfalzbayern verboten, betrieben von katholischen Fanatikern. Schubart schrieb wütend an seinen Bruder: "Der abscheuliche Bigott Zoglio, ein stinkendes Exkrement Ihro päpstlichen Heiligkeit (d.i. der päpstliche Nuntius), hat dieses Verbot veranlasst." Wenn die Chronik auch nicht mehr ganz an die Schärfe der Vor-Asperg-Zeit heranreichte, so blieb sie dennoch ein hervorragendes Blatt. Die Auflage stieg ständig. Begeistert begrüsste Schubart darin den Ausbruch der Französischen Revolution. Nach dem Zeugnis seines Sohns, söhnte Schubart sich mit dem Beginn der Revolution wieder mit den Franzosen aus, die er oft genug angegriffen hatte, "und blieb der Sache der Freiheit, unter allen Stürmen und Umschlägen, unerschütterlich treu". In seinen letzten Lebensjahren, als Stuttgarter Schauspiel- und Operndirektor, konnte Schubart, obwohl gesundheitlich schon schwer angeschlagen, viel Nützliches vollbringen. Auf sein Wirken führte man um 1800 zurück, dass Schulmeister und Organisten in Württemberg respektable Kenntnisse im Instrumentenspiel und in zeitgenössischer Musik besassen. Unter seiner Theaterdirektion ging auch erstmals 1788 eine Mozart-Oper über die Stuttgarter Bühne, obwohl der damalige Kapellmeister Agostino Poli als entschiedener Mozart-Gegner galt. "Die Hochzeit des Figaro" war zudem ja gerade das beste zeitgenössische Bühnenwerk mit überdeutlicher antifeudaler Tendenz und Satire. Zudem erschienen mehrere Werke und Liedsammlungen Schubarts. Schubart, gesundheitlich geschwächt durch seine lange Haftzeit, seelisch arg in Mitleidenschaft gezogen, unter Melancholie und Depressionen leidend, allesamt Folgen von Gehirnwäsche und Haft, - aber dennoch als unbgebeugter bürgerlicher Rebell - starb am 10. Oktober 1791 an "Schleimfieber", im Alter von nur 52 Jahren. begraben wurde er auf dem Hoppenlau-Friedhof in Stuttgart.

Vom Wilhelm Ludwig Wekhrlin

Der nach Schubart bedeutendeste Journalist dieser Zeit war zweifellos Wilhelm Ludwig Wekhrlin (1739-1792). Der am 7. Juli 1739 in Botnang, als Sohn eines Landpfarrers geborene Wekhrlin, hatte nach dem Gymnasium Jura studiert, sich in verschiedenen deutschen Städten, Strassburg, Paris und Wien, als Schreiber, Hofmeister und Journalist durchgeschlagen. Reisen hatten ihn auch nach Italien und Ungarn geführt. Der Aufenthalt in Frankreich muss ihn sehr geprägt haben. Die französichen Enzyklöpädisten, die Wegbereiter der Französischen Revolution, und Votaire wurden zu seinen Vorbildern. Da er es diesen Aufklärern gleich tun wollte, kam er schnell mit der Zensur und Polizei in Konflikt, lernte Ausweisungspraktiken und Haftbedingung kennen. Trotzdem gab er nicht auf, schrieb Satiren und gründete sechs Zeitschriften, deren Texte er überwiegend selbst verfasste. In der "Chronik" schrieb Schubarts Sohn Ludwig, über den am 24. November 1972 verstorbenen Wekhrlin, als Nachruf: "Wer einen ausgezeichneten Kopf zu schätzen weiss, der beklagt ihn gewiss. Wekhrlin...wirkte...mit seinen Schriften weit mehr auf das Publikum als hundert gelehrte Kompedienschreiber, denn er besass reiche Kenntnisse, Kühnheit und eine gefällige, oft hinreisende Darstellungsgabe. Von Nördlingen aus erschienen seine wichtigsten Schriften. So "Des Anselmus Rabiosus Reise durch Oberdeutschland" (erschienen 1778). Er beschrieb darin seine Fahrt durch Bayern, Schwaben, Württemberg, Baden und was sonst so am Wegesrand lag. Treffend skizzierte er alles, was ihm an sozialer Unterdrückung, politischer Willkür und religiöser Intoleranz begegnete und warf dies mit spitzer Feder und deutlicher Anklage aufs Papier. "Das obere Schwaben. Es besteht aus tausend kleinen Völkern, wovon jedes seinen eigenen Herrn hat und die in ihrer Kleidertracht, in ihren Gesetzen, in der Religion und in der Sprache ebenso verschieden sind als in ihren Regierungsformen... Die Bewohner wissen sehr wenig, ob der Staat ein gemeinschaftliches Oberhaupt hat oder ob er von Ungefähr regiert wird. Sie würden den Namen des Landesherrn nicht kennen, wenn sie ihn nicht zuweilen an der Spitze der Steuerpatente nennen hörten. Zur Unterdrückung geboren, erhebt sich ihr Geist, welches durch das Elend in der Unwissenheit und durch die Unwissenhait im Elende erhalten wird, nicht von der Erde... Die Kinder wachsen unter der Hand der Vorsicht auf wie die Pilsen. Wenn sie gross werden, so werden sie von ihren Landesherren in die Dienste fremder Höfe verkauft, oder sie wandern kolonieweis aus." In Nördlingen erschien seine Zeitschrift "Das Felleisen ". Der unliebsame Publizist wurde aber ausgewiesen und fand im benachbarten Fürstentümchen Öttingen-Wallerstein, im Dorf Baldingen, Unterschlupf. Jetzt erschienen die Zeitschriften "Chronologen " (1779-1781) und "Das graue Ungeheuer " (1784-1787). In seinen Vorworten legte er seine Haltung fest: "Es gehört nicht viel Verstand dazu, von der herrschenden Meinung zu sein: aber es verrät ein grosses Mass, von einer Meinung zu sein, wozu sich die Welt erst nach dreissig Jahren bekennen wird." Eine Hauptstossrichtung war die Auseinandersetzung mit religiösem Dunkelmännertum und klerikaler Reaktion. Der Freigeist Voltaire gilt als Vorbild: "Votaire: dessen kühne Hand des Aberglaubens Thron minierte und der, im komischen Gewand des Scherzes, Lügen persiflierte; dem heitere Philosophie des Satirs scharfe Feder führte, dem Witz und reiche Fantasie im Stil der Grazien diktierte; Dir, der der Vorurteile Joch zerbrach - wie wenig' wagten's noch von unsern sonst so biedern Teutschen aus Furcht vor Kerker und vor Peitschen! - Die weihest eine deutsche Muse ihr Lied - der Achtung Zeugnis nur -."

Votaire gleich, nimmt Wekhrlin Stellung gegen Hexenprozesse und Klassenjustiz, gegen Verfolgung von Freimaurern und Illuminaten, gegen Verketzerung von Atheisten und Materialisten. Er engagiert sich in der Debatte um Spinoza und äusserte seine Überzeugung, "dass es weniger gottlos ist, keinen Gott zu glauben als einen theologischen ". Krasser als seine Ablehnung der Religion, war seine Abscheu vor der Kirche als Institution. Er wurde nicht müde, auf den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit hinzuweisen. Von der Spielhölle Spaa im Bistum Lüttich berichtete er:

"Von der Million Taler, welche die Bank als reinen Gewinn jährlich rechnet, kommt ein Zehntel an die Croupiers, zwei zehntel an die Unternehmer, ein Zehntel an die Unterhaltung der Brunnen, ein zehntel an die Polizei, ein zehntel an zufällige Ausgaben und vier Zehntel an Pensionen. - Und an die Armut? - Nichts!...Ein Bischof und eine Herde Apostel beschützen die abscheulichste Sittenverderbnis öffentlich. In einem der Religion geweihten Lande sieht man Ausschweifungen, die der unpolizierteste weltliche Staat nicht dulden würde...Nie hat sich das Christentum mehr widersprochen als zu Spaa. Nie hat es mehr zu verstehen gegeben, dass die sogenannte Kirche nichts als ein System der Heuchelei ist; dass Christentum, Religion, Heiligkeit blosse Schallwörter sind, diejenigen zu betrügen, die sich dadurch fangen lassen wollen; und dass die Religiosität von Ewigkeit nur eine Larve war, das Wohlleben, den Wucher, den Raub desto sicherer zu treiben".

Über das Verhältnis von Kirche und Staat urteilte er:

"Der Grundsatz, dass der Staat nicht ohne Religion bestehen könne, ist ein Steckenpferd für Tyrannen, welche kein anderes Vehikel haben, sich zu behaupten. Fällt dieses Pferd um, so hört der Sohn auf, Tyrann zu sein. Die Gesetzgebung verändert ihre Achse. Das an der Leine führen und das Häckerlinnfüttern in der politischen Reitschule kommt ab. Dies dürfte allerdings eine wichtige Epoche, nämlich die Epoche des Völkerglücks, der tugendhaften Regierungen, der Menschenfreiheit und der Harmonie der Gesetze sein." (PS: Eine etwas idealistisch anmutende Formulierung für die noch heute (!) nicht eingelöste politische Forderung nach konsequenter Trennung von Kirche und Staat).

Für Wekhrlin hagelte es Vorladungen und Verbote, Auslieferungsanträge, auf ihn ausgesetzte Kopfgelder, öffentliche Verbrennungen missliebiger Stücke seiner Zeitschrift. Ab 1787 wird er in Wallerstein gefangengesetzt, allerdings unter so günstigen Bedingungen, die ihm die weitere Herausgabe seiner Zeitschriften ermöglichen. 1788 erschienen seine "Hyperboreischen Briefe " und 1790 seine "Paragraphen ". Seine Haftbedingungen ermöglichen ihm sogar kleinere Reisen und "Urlaube auf Ehrenwort". 1792 reist er ins revolutionäre Frankreich und bekundete seine Genugtuung, "Zeuge von dem Umschwung in Frankreich zu sein, von wo aus der erste Nationalkondex und vielleicht die Anfangslinien zu einem wahren, der Gesellschaft anpassenden Gesetzsystem datieren dürften ". Seine gewonnenen Eindrücke bestärkten ihn in seiner Parteinahme für die Revolution, jetzt auch in Deutschland. Zurückgekehrt gab er die "Ansbacher Blätter " heraus. In Ansbach, das zu Preussen gehörte, wurde er als "jakobinischer Agent" verhaftet. Kurz nach seiner Verhaftung, nicht zuletzt aus "Wut und Gram", ereilte ihn am 24. November 1792 sein plötzlicher Tod.

Auswahl von Schubarts Gedichten und Schriften:

Heimkehr aus dem Kriege

Mit jammervollen Blicken, von tausend Sorgen schwer, hink'ich an meinen Krücken in weiter Welt umher. Ich war ein froher Krieger, sang manch Soldatenhed, ich war ein stolzer Sieger, jetzt - bin ich Invalid. Weiss Gott, hab' viel gelitten, und hab' so manchen Kampf in mancher Schlacht gestritten, gehüllt in Pulverdampf. Stand oft in Sturm und Regen, in finstrer Mitternacht, bei Blitz und Donnerschlägen so einsam auf der Wacht. Nun bettl' ich vor den Türen, ich armer lahmer Mann, doch ach, wen kann ich rühren, wer nimmt sich meiner an? Sie schelten mich, den Kranken und spotten meiner Not, und innig muss ich danken für ein Stück hartes Brot. Ihr Kinder, bei der Krücke, an der mein Leib sich beugt, bei diesem Trauerblicke, der sich zum Grabe neigt, beschwör ich euch, ihr Söhne, o flieht der Trommel Ton, der Kriegstrompeten Töne, sonst kriegt ihr meinen Lohn. Mir drohten oft Geschütze den fürchterlichsten Tod; trank oft aus einer Pfütze und ass verschimmelt Brot; sah manchen Kameraden an meiner Seite tot, musst' oft im Blute waden, wenn es mein Herr gebot. Bedeckt mit dreizehn Wunden, an meine Krück' gelehnt, hab' ich zu manchen Stunden mich nach dem Tod gesehnt. Und da er mich verschonst, werd' ich - noch fern vom Grab, für Kampf und Schmerz belohnet mit diesem Krückenstab. Nur wenn dem Vaterlande ein Feind mit Kriegesnot, und unserm Volk die Schande der Unterdrückung droht - dann, Kinder, greift zum Schwerte! Dann schont nicht Blut, nicht Feu'r! Dann reiniget die Erde von solchem Ungeheu'r! "

Der Text des Liedes geht auf ein Gedicht von Chr. F. D. Schubart zurück, das er im Gefängnis Hohen-Asperg 1781 geschrieben hatte. Das Lied gegen den Söldnerdienst wurde vom Volk immer wieder in neuen Fassungen und Varianten gesungen und war weit verbreitet." Textfassung: Th. Friz/E. Schmeckenbecher

Das Kaplied

Auf, auf! ihr Brüder und seid stark, Der Abschiedstag ist da! Schwer liegt er auf der Seele, schwer! Wir sollen über Land und Meer Ins heisse Afrika. Ein dichter Kreis von Lieben steht, ihr Brüder, um uns her; Uns knüpft so manches teure Band An unser deutsches Vaterland, Drum fällt der Abschied schwer. Dem bieten graue Eltern noch Zum letztenmal die Hand; Den kosen Bruder, Schwester, Freund; Und alles schweigt, und alles weint, Und wie ein Geist schlingt um den Hals Das Liebchen sich herum: Willst mich verlassen, liebes Herz, Auf ewig? und der bittre Schmerz Macht's arme Liebchen stumm. Ist hart! drum wirble du, Tambour, Den Generalmarsch drein. Der Abschied macht uns sonst zu weich, Wir weinten kleinen Kindern gleich; Es muss geschieden sein. Lebt wohl, ihr Freunde! Sehn wir uns Vielleicht zum letztenmal; So denkt, nicht für die kurze Zeit, Freundschaft ist für die Ewigkeit, Und Gott ist überall. An Deutschlands Grenze füllen wir Mit Erde unsre Hand Und küssen sie, das sei der Dank Für deine Pflege, Speis und Trank, Du liebes Vaterland! Wenn dann die Meereswoge sich An unsern Schiffen bricht, So segeln wir gelassen fort; Denn Gott ist hier und Gott ist dort, Und der verlässt uns nicht! Und ha; wenn sich der Tafelberg Aus blauen Düften hebt, So strecken wir empor die Hand, Und jauchzen: Land! ihr Brüder, Land! Dass unser Schiff erbebt. Und wenn Soldat und Offizier Gesund ans Ufer springt, Dann jubeln wir, ihr Brüder, ha! Nun sind wir ja in Afrika. Und alles dankt und singt. Wir leben drauf in fernem Land Als Deutsche brav und gut. Und sagen soll man weit und breit, Die Deutschen sind doch brave Leut, Sie haben Geist und Mut. Und trinken auf dem Hoffnungskap Wir seinen Götterwein; So denken wir, von Sehnsucht weich, Ihr fernen Freunde, dann an Euch; Und Tränen fliessen drein.

Soldatenschicksal

O wunderbares Glück! Denk doch einmal zurück: Was hilft mir mein Studieren, viel Schulen absolvieren? Bin doch ein Sklav, ein Knecht. O Himmel ist das recht? Schildwache muss ich stehn, davon darf ich nicht gehn. Ja, wenn die Runde käme, und sie mich nicht vernähme, so he isst es: "In Arrest geschlossen hart und fest!" Vor diesem konnt' ich gehn, so weit mein Aug' mocht' sehn; jetzt hat sich's ganz verkehret, die Schildwach mir verwehret den freien Lauf ins Feld: O du verkehrteWelt! Schildwache muss ich stehn, davon darf ich nicht gehn. Ja, wenn die Runde käme, und sie mich nicht vernähme, so heisst es: "In Arrest geschossen hart und fest!" Des Morgens um halb vier, da kommt der Unteroffizier, der tut mich kommandieren vielleicht zum Exerzieren; hab nicht geschlafen aus, muss doch zum Bett heraus. Dann kommt der Herr Sergeant, befiehlet von der Hand: "Polieret eure Taschen und wichset die Gamaschen, den Pallach blank poliert, dass man kein' Fehler spürt!" Nun sieht uns der Offizier und sagt uns mit Manier: "Wirst du nicht deine Sachen in Zukunft besser machen, so wird der Gassenlauf unfehlbar folgen drauf!" Nun Brüder, habt Geduld! Wer weiss, wer hat's verschuldt, dass wir so exerzieren, mit steifen Knien marschieren in diesem Sklavenhaus! Ach, wär ich einmal raus!

Der gnädige Löwe

Der Tiere schrecklichsten Despoten Kam unter Knochenhügeln hingewürgter Toten Ein Trieb zur Grossmut plötzlich an. "Komm", sprach der gnädige Tyrann Zu allen Tieren, die in Scharen Vor seiner Majestät voll Angst versammelt waren; "Komm her, beglückter Untertan, Nimm dieses Beispiel hier von meiner Gnade an! Seht, diese Knochen schenk' ich euch!" "Dir", rief der Tiere sklavisch Reich, "Ist kein Monarch an Gnade gleich!" Und nur ein Fuchs, der nie den Ränken Der Schüler Machiavells geglaubt, Brummt in den Bart: "Hm, was man uns geraubt, Und bis auf's Bein verzehrt, ist leichtüch zu verschenken!"

Der Wolf und der Hund

Zum Hunde, der die ganze Nacht An seiner Kette zugebracht Und, wann der Tag zu grauen fing, Aufs Gay mit seinem Metzger ging, Sprach einst ein Wolf: Herr Bruder, wie so mager, So schäbicht und so hager! Du armer Hund! Da sieh mich an, wie froh und wie gesund Ich bin! - Ich rieche nach der Luft. Mein Wolfsbalg atmet frischen Duft, Ich fresse dir mit gleicher Lust, Herr Bruder, Bald frisches Fleisch, bald Luder, Denn leck ich klaren Quell und bin Den ganzen Tag von frohem Sinn. - Du aber, ach! versetzte Melak, ach! Herr Bruder, nur gemach; Drum bist du Wolf, ich Hund - du frei. Ich aber in der Sklaverei. Und die Moral? - o die ist jedermann bekannt In Deutschland und in Engelland. (Erschienen im 1. Stück der "Deutschen Chronik" 1774.

Gay - Gau, altertümlich für Land im Gegensatz zur Stadt. Auf den Gau gehen: in Württemberg bei den Fleischern gebräuchlich gewesen für: Auf das Land reisen, um Schlachtvieh einzukaufen.)

Auf eine Bastilletrümmer von der Kerkertüre Votaires

Dank dir, o Freund, aus voller Herzensfülle Für die Reliquie der greulichen Bastille, Die freier Bürger starke Hand Zermalmend warf in Schutt und Sand. Zertrümmert ist die Schauerklause, Die einst, o Voltaire, dich in dumpfe Nacht verschloss. Kein Holz, kein Stein, kein Nagel bleibe von dem Hause, Wo oft der Unschuld Zähre sich ergoss! - Drum, Biedermann, empfange meinen Segen Für diese Trümmer, die du mir geschickt, Sie ist mir teurer als ein goldner Degen, Womit einst ein Tyrann die Freien unterdrückt.

Der exemplarische Prediger

Pathetisch predigt Stax: Ihr Leute, stehlet nicht, Lasst jedem, was er hat, wie es die Schrift befohlen. Doch was er geistreich sagt, das tut er selber nicht; Die ganze Predigt war gestohlen.

Palinodie

Wie? Staxens Predigt wär gestohlen? Verleumdung ist's! Ich sag es frei! Er liess, ich selber stund dabei, Für bares Geld sie aus dem Laden holen.

An einen Kritikaster

über Goethes Text: Schlagt den Hund tot, er ist ein Rezensent Wer nichts als deinen Geifer kennt, Der echt Verdienst zu stürzen brennt, Ruft: der verfluchte Rezensent! Schlagt tot den Hund! schlagt tot! Wer aber deine Ohnmacht kennt, Wer weiss, du schimpfst ums liebe Brot, Sagt: mit dem Schlingel hat's nicht Not! Lasst ihn nur leben, er ist tot!

Einige politische Texte

Hier ist eine Probe der neuesten Menschenschatzung! - Der Landgraf von Hessen-Kassel bekommt jährlich 450.000 Taler für seine 12.000 tapfere Hessen, die grösstenteils in Amerika ihr Grab finden werden. Der Herzog von Braunschweig erhält 65.000 Täler für 3.964 Mann Fussvolks und 360 Mann leichter Reuterei, wovon ohnfehlbar sehr wenige ihr Vaterland sehen werden. Der Erbprinz von Hessen-Kassel gibt ebenfalls ein Regiment Fussvolk ab um den Preis von 25.000 Täler. 20.000 Hannoveraner sind bekanntlich schon nach Amerika bestimmt und 3.000 Mecklenburger für 50.000 Täler auch. Nun sagt man, der Kurfürst von Bayern werde ebenfalls 4.000 Mann in englischen Sold geben. Ein fruchtbarer Text zum Predigen für Patrioten, denen 's Herz pocht, wenn Mitbürger das Schicksal der Negernsklaven haben und als Schlachtopfer in fremde Welten verschickt werden. (Aus dem 25. Stück vom 25. März 1776)

Eine Sage

Der Herzog von Württemberg soll 3.000 Mann an Engelland überlassen, und dies soll die Ursache seines gegenwärtigen Aufenthalts in London sein. !!! (Aus dem 26. Stück vom 28. März 1776)

Kirchenstaat

In Italien werden jetzt die Freiheiten der Geistlichkeit, die sie zu einem Kreis ausdehnten, der oft 's obrigkeitliche Ansehen verschlang, sehr eingeschränkt. Neapel, Turin, Florenz, Venedig erteilen jetzt solche Verordnungen, die die Gewalt der Geistlichen ganz auf Betstuhl, Kanzel, Altar und Studierzimmer reduzieren. - Kreise, die weit genug sind für Seelen, die Ehrgeiz und Herrschsucht nicht schwindlicht macht. Aber die Geistlichkeit ist mit diesen Verordnungen nicht zufrieden; sie nennt jeden einen Ketzer, Freigeist, Atheisten, der sich ihrer Macht widersetzt. Es ist eine alte Maxime der Geistlichen, die jetzt sogar der Pöbel merkt, dass sie über Eingriffe in die ganze christliche Religion schreien, wenn man diese Herren, sobald sie's verdienen, etwas unsanft bei der Halskrause packt. Und doch brauchen sie diese Maxime noch immer, sie sollten's doch 'nmal wie 'n abgetragnen Rock in die Lumpenkammer werfen. (Aus dem 21. Stück vorn 11. März)

An die Herrscher der Erde

Soll wieder unsre Welt im Blute schwimmen, Weil euer Herrscherstolz gebeut, Und euer Donnerruf die Stimmen Der Friedenssöhne überschreit? Ach schrecklich ist's, der Menschen Mark vergeuden Und mit der Würgehand Umwühlen in der Menschen Eingeweiden, Vom Schlachtendurst entbrannt! Steckt eure Schwerter in die Scheide, Lasst eure Donnerschlünde ruhn! Gibt's grössern Ruhm, gibt's reinre Freude, Als Friede geben, Gutes tun?

Fürsten

Ihr Fürsten, einstens im Gedränge Der unzählbaren Menschenmenge, Wird mancher unter euch noch an der Seite stehn, Die ihr mit Hohn - als Bettler habt gesehn.

Thraso

Der Untertanen Last erschweren, Um seines Fürsten Schatz zu mehren; An keinen Jammer sich zu kehren Und Städt und Länder zu verheeren; Dies ist die hohe Wissenschaft, Die Thraso Ehr und Reichtum schafft. Er hat des Tigers Grausamkeit, Des Wolfes Raubbegierd, die List Des Fuchses, eines Hundes Neid, Nicht seine Treu und Tapferkeit, Und keines Menschen Herz - er ist Ein trefflicher Kameralist.

An den Haps

Sprichst stets von deiner Redlichkeit Treu, gut Gewissen, Frömmigkeit. Pfui, Haps, musst das nicht tun! Lass doch die Toten ruhn.

An die Freiheit 1789

0 Freiheit, Freiheit! Gottes Schoss entstiegen, Du aller Wesen seligstes Vergnügen, An tausendfachen Wonnen reich, Machst du die Menschen Göttern gleich. Wo find' ich dich, wo hast du deine Halle? Damit auch ich anbetend niederfalle, Dann ewig glücklich - ewig frei Ein Priester deines Tempels sei. Einst walltest du so gern in Deutschlands Hainen, Und liessest dich vorn Mondenlicht bescheinen, Und unter Wodanseichen war Dein unentweihtester Altar. Es sonnte Hermann sich in deinem Glanze, An deine Eiche lehnt' er seine Lanze, Und ach, mit mütterlicher Lust Nahmst du den Deutschen an die Brust. Bald aber scheuchten Fürsten deinen Frieden, Und Pfaffen, die so gerne Fesseln schmieden; Da wandtest du dein Angesicht - Wo Fesseln rasseln - bist du nicht. Dann flogst du zu den Schweizern, zu den Britten; Warst seltner in Palästen, als in Hütten; Auch bautest du ein leichtes Zelt Dir in Kolumbus neuer Welt. Und endlich, allen Völkern zum Erstaunen, Als hätt' auch eine Göttin ihre Launen, Hast du dein Angesicht verklärt Zu leichten Galliern gekehrt.

An Ihro Gnaden

Es kennen Ihro Gnaden Redouten, Maskeraden, Die Prüden und Koquetten An ihren Toiletten. Sie sprechen mit der Base Französisch durch die Nase, Sie können Deutschland schimpfen; Vornehm, mit Naserümpfen; Den Bürger stolz verachten, Und, die nach Weisheit trachten, Bestraft Ihr kühner Tadel? - Mein Seel'! Sie sind von Adel!

(An Ihro Gnaden. Dies Gedicht ist nur als zeitgenössischer Einzeldruck erschienen und konnte von Schubart wegen der scharfen Gesellschaftskritik nicht in die Akademieausgabe aufgenommen werden, Druckvorlage Hauff)

Die Forelle

In einem Bächlein helle, Da schoss in froher Eil' Die launige Forelle Vorüber wie ein Pfeil. Ich stand an dem Gestade Und sah in süsser Ruh' Des muntem Fisches Bade Im klaren Bächlein zu. Ein Fischer mit der Rute Wohl an dem Ufer stand, Und sah's mit kaltem Blute, Wie sich das Fischlein wand. So lang dem Wasser ' Helle, So dacht' ich, nicht gebricht, So fängt er die Forelle Mit seiner Angel nicht. Doch plötzlich war dem Diebe Die Zeit zu lang. Er macht Das Bächlein tückisch trübe, Und eh' ich es gedacht, So zuckte seine Rute, Das Fischlein zappelt dran, Und ich mit regem Blute Sah die Betrogne an. Die ihr am goldnen Quelle Der sichern Jugend weilt, Denkt doch an die Forelle; Seht ihr Gefahr, so eilt! Meist fehlt ihr nur aus Mangel Der Klugheit. Mädchen, seht Verführer mit der Angel! Sonst blutet ihr zu spät.

(Die Forelle. Dieses Gedicht wurde als Lied in der Vertonung von Franz Schubert (1797-1828) weltbekannt. Schubert liess die moraldidaktische und künstlerisch stark abfallende 4. Strophe weg. Auch Schubart selbst vertonte sein Gedicht. Launisch: Da unter "launisch" die üble, schlechte Laune verstanden, von Schubart hier aber das heitere Naturell charakterisiert wird, änderte es sein Sohn Ludwig später mit Recht in "launig".

Friedensgöttin komm, ich flehe

Friedensgöttin komm, ich flehe Dir mit hochgehobner Hand, Komm herab von deiner Himmelshöhe, Dich bedarf mein armes Vaterland. Sieh, im Maienmonde wollen Heere ziehen in das Feld. Wie sie schon die Augen blutig rollen, Zu verheeren eine ganze Welt! Freude flieht vor Mavors Rufe*, Der sich schlachtendurstig naht; Seiner kriegerischen Rosse Hufe Stampfen, knicken unsre Frühlingssaat Blumen sterben, wo die Sohle Eines ehrnen Kriegers geht; Traurig liegt das Röschen, die Viole, Jedes Blümchen auf zertretnem Beet. 0 so komm, du Friede, nieder, Sänftige der Krieger Sinn. Tausend Deutsche, alle brav und bieder, Grüssen dich, du Himmelskönigin. (*Mavors: anderer Name für den römischen Kriegsgott Mars)

Die Welt ist nun des Menschenmordens müde

Die Welt ist nun des Menschenmordens müde; Die Krieger ziehn aus finsterrn Streit. Vom Himmel kommt - sein schönster Sohn, der Friede, Und mit ihm kommt die Fruchtbarkeit. Es neigen sich vor ihm die ährenschweren Halme, Die nun kein Pferdehuf zerknickt. Und weit herum ertönen Friedenspsalmen Und Volksgesänge hochentzückt. 0 seid es wert, ihr, Deutschlands Bürger, Durch Tugend seid des Friedens wert. Dass Mavors nicht, der höllentflohne Würger Auf ewig euer Land verheert.

An die Schwaben

Ihr lieben Schwaben insgesamt, Wenn noch ein Fünklein in euch flammt Von Ahnenglut, so höret mich; Dann biderb, frei und deutsch bin ich. Unüberwindlich gross und stark, In ihrer Knochen Löwenmark, War eurer grossen Väter Art; jetzt seid ihr zärtlich, winzig, zart, Tragt statt der Waffe Degelein Mit Bändern dran, gar hübsch und fein, Und sprecht mit eurem lieben Sohn Franzosensprach im Nasenton. Ihr lauft verbuhlt um eure Weiber, Wie Maulwurf, Sperling oder Täuber, Wer Komplimente schneiden kann, Wer schmeichlen, kriechen, heuchlen kann, Der ist bei euch ein braver Mann. Ihr haschet nur nach Rauch und Dunst Und nicht nach Wissenschaft und Kunst; Drum gilt bei euch der Gauch und Tropf Mehr als der Weise und der Kopf. Der Jüngling sitzt beim Wein so kalt, Als wär er achtzig Jahre alt Und sässe auf der Alpen Höh Mit blossem A ... im ew'gen Schnee. Ist's Wunder, wenn man euch entehrt, Als wenn ihr Yahoo wärt? Schnipst euch der Sachs und Brenne doch Verächtlich unters Nasenloch. 0 denkt einmal im Ernste nach, Was einst Bohemus von uns sprach: Der Schwabe wird erst spät gescheit. Ach denkt daran, 's ist hohe Zeit. Seid klug, schon vor den vierzig Jahren, Wie's eure braven Väter waren. Wie schön, wenn einst der Enkel spricht: Die Narrenkappe passt mir nicht.

(Erschienen im 19. Stück der "Deutschen Chronik" 1775. Yaboo - (engl.) etwa Viehkerl, nach Swifts Roman "Gullivers Reisen', in dem die Yahoos ekelhafte Tiermenschen sind. Brenne - Preusse; Bohemuf - Möglicherweise ist hier von Schubart ein anekdotischer Ausspruch des schwäbischen evangelischen Theologen Johann Friedrich Bertram gemeint.

Märchen

Es starb einmal ein Bäuerlein Sein Engel, hell, wie Sonnenschein, Mit einem güldnen Stibe wies Dies Bäuerlein zum Paradies. Es ging an den bestimmten Ort Auf einer Morgenröte fort; Kam an das Tor von Diamant, Und klopfte sittsam mit der Hand. St. Peter hütete die Tür Und schrie: "Nun, wer ist wieder hier?" "Ich bin ein armer Bauersmann, Der auf der Erde nichts getan Als seine Felder angebaut, Mit einem Weibe sich getraut, Die mir zum Stecken und zum Stab Ein Dutzend derbe Buben gab. In meinem Leben gab ich gern Die Steuern meinem gnäd'gen Herrn; Ich glaubte, was der Pfarrer sprach, Kam treulich seinen Lehren nach, Und zahlt' ihn redllch, wie mich deucht, Für seine Predigt, Bet' und Beicht. Ich starb. Er salbte mich mit Oel; Ein Engelein wies meine Seel' Zu dir ins Paradies herauf: 0 heil'ger Peter mach mir auf!" Nun öffnete die Pforte sich, St. Peter sprach: "Ich lobe dich: Du guter Mann verdienst gewiss Ein Plätzchen in dem Paradies. Du sollst's auch haben: Aber heut, Mein Bäuerlein, fehlt mir die Zeit. Wir feiren heut ein grosses Fest, Das mich an dich nicht denken lässt. Geh dort in jene Laube hin, Gewölbt von himmlischem Jasmin, Und warte, bis ich komme, da, Beim Nektar und Ambrosia!" Das Bäuerlein sprach: "Habe Dank!" Setzt' sich auf eine Veilchenbank, Und wartete, bis Peter rief; Erhabne Stille herrschte tief. Doch plötzlich sprang das goldne Tor, Der ganze Himmel war Ein Chor; Es schwammen süsse Simphonien Durch den entzückten Himmel hin; Der Schatten eines Priesters schwebt' Herauf, vom Lobgesang erbebt' Der Himmel: "Leuchte wie ein Stern, Komm du Gesegneter des Herrn!" Mit Abraham und Isaak sass Der Selige zu Tisch, und ass Das erstemal Ambrosia; Und Amen und Hallelujah! Sang laut der Seraphimen Chor Um des entzückten Priesters Ohr. Und erst am Himmelsabend kam St. Peter vor das Tor und nahm Mit sich den armen Bauersrnann, Und wies ihm auch sein Plätzchen an. Der Bauer fasste wieder Mut, Und sprach: "Herr Peter, sei so gut, Und sag mir, warum war denn heut' Im Himmel solche grosse Freud?" "Sahst du's dann nicht", sagt Peter drauf, "Ein frommer Priester schwebt' herauf? Drum hat ob seiner Seligkeit Der Himmel solche grosse Freud!" "So müssen", fiel der Bauer ein, "Im Himmel lauter Feste sein, Weil's ja viel tausend Priester gibt, Und jeder seinen Herrgott liebt?" St. Peter lachte laut dazu, Und sprach: "Du liebe Einfalt du! Ich, der ich bald zweitausend Jahr Türhüter in dem Himmel war, Hab' vor den Pfaffen gute Ruh; Doch solche Bauernkerls wie du, Die komnen oft so häufig an, Dass ich sie nimrner zählen kann." Dies Märchen hat Hans Sachs erdacht, Und es in Knittelvers gebracht: Doch ärgert dich's, mein frommer Christ, So denk, dass es ein Märchen ist!

(Ludwig Schubart schreibt in seinem Buch "Schubarts Charakter" über dieses Gedicht: "Ein Märchen von ihm in Hans Sachsens Manier: Es starb einmal ein Bäuerlein' etc. wurde zu Augsburg verbranrit, weil die Pfaffen etwas übel darin wegkamen, und geriet eben dadurch so allgemein in Zirkulation, dass man es heute noch (1798) auf Bierbänken und Zunftschmäussen hören kann.")

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BIBLIOGRAPHISCHE ANGABEN Zu Schubart:

AUTOBIOGRAPHISCHES: Leben und Gesinnungen. 2 Bde. (1791/93)

ZEITSCHRIFTEN: Deutsche Chronik (1774/78), Vaterländische Chronik (a.u.d.T.: Vaterlandschronik, Chronik, 1787/91). LYRIK: Neujahrsschilde in Versen (1775), Gedichte aus dem Kerker (1785); Sämtliche Gedichte. 2 Bde. (1785/86).

ÄSTHETISCHE SCHRIFTEN: Ideen zur Ästhetik der Tonkunst (1806)

WERKAUSGABEN: Vermischte Schriften. Hrsg. L. Schubart. 2 Bde. (1812); Gesammelte Schriften und Schicksale. 8 Bde. (1839/40); Werke (Auswahl), Hrsg. U. Wertheim/H. Böhm (1959).

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BIBLIOGRAPHISCHE ANGABEN Zu Wekhrlin:

ZEITSCHRIFREN: Das Felleisen (1778); Chronologen. 12 Bde (1779/81); Das graue Ungeheuer. 12 Bde. (1784/87); Hyperboreische Briefe. 6 Bde. (1788/90), Paragrafen. 2 Bde (1791); Ansbachische Blätter (1792).

REISEBERICHTE: Denkwürdigkeiten von Wien. 3 Teile (1 776/77), Des Anselmus Rabiosus Reise durch Ober-Deutschland (1778). SA'I'IREN: Das Leben und die Narrheiten des Don Pantalone Rodriguez Papefiguira (1778), Die abenteuerliche Historia des liederlichen Peitzschenmeisters und Erzgauklers Pips von Hasenfuss (1786)

WERKAUSGABEN: Leben und Auswahl seiner Schriften. Hrsg. F.W. Eberling (1869).

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Quellen und weiterführende Literatur:

Schoeller/ Schubart. Leben und Meinungen eines schwäbischen Rebellen. Wagenbach Berlin. 1979. Schubarts Werke in einem Band. Aufbau Berlin. 1988. Ch. F. D. Schubart/ Deutsche Chronik. Eine Auswahl aus den Jahren 1774-1777 und 1787-1791. Röderberg Köln. 1989. Sturm und Drang. Erläuterungen zur deutschen Literatur. Volk und Wissen Berlin. 1983. Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur. Röderberg Frankfurt. 1979. F. Rebmann/ Ideen über Revolution in Deutschland. Reclam Leipzig. 1988 Meck/ Die Industrie- und Oberamtsstadt Heidenheim. Kopp Heidenheim. 1910 Bischoff-Luithen/ Der Schwabe und die Obrigkeit. o.J. Guther/ Gerstetten und seine Nachbarn. Selbstverlag 1984. Ritz/ Nattheim und Oggenhausen im Kranz der Nachbargemeinden. Heidenheimer Verlagsanstalt. Königlich statistisch-topographisches Bureau/ Beschreibung des Oberamts Neresheim. Lindemann Stuttgart. 1872. Stellmacher/ Komödien und Satiren des Sturm und Drang. Reclam Leipzig. 1976. Brandstätter/ Asperg. Ein deutsches Gefängnis. Wagenbach Berlin. 1978. Th. Bolay/ Der Hohenasperg. Württembergs Schicksalsberg im Wandel der Zeiten. Aigner Ludwigsburg. 1957. Prinz/ Das Württembergische Kapregiment 1786-1808. Die Tragödie einer Söldnerschar. Strecker und Schröder Stuttgart. 1932. Herbig/ Notizen aus der Sozial-, Wirtschafts- und Gewerkschaftsgeschichte vom 14. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Deutscher Gewerkschaftsbund Düsseldorf. 1976. Karl Moersch/ Ein Unterthan, das ist ein Tropf. Poltitische Lieder der Schwaben aus zwei Jahrhunderten. Neske Pfullingen. 1985. Kucynski/ Geschichte des Alltags des deutschen Volkes. 1600-1945 Studien, Bd. 1-5. Pahl-Rugenstein Köln. 1981. u. W. Jacobeit/ Illustrierte Alltagsgeschichte des deutschen Volkes. 1550-1810. Pahl-Rugenstein Köln. 1986.

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Abbildungen:

Schoeller/ Schubart... w.o. Zupfgeigenhansel/ Es wollt ein Bauer früh aufstehn. Pläne Dortmund. Jahre Kirche und Schule in Württemberg. Calwer Verlag Stuttgart. 1984. Württembergisches Landesmuseeum Stuttgart/ Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons. Ausstellungskatalog Bd. 1.1,, 1.2., 2.0. Cantz Stuttgart. 1987. Borst/ Alte Städte in Württemberg. Prestel München. 1968 Heidenheimer Zeitung vom 2. 11. 1988 Ein anderes Deutschland. Lesebuch. Oberbaum Berlin 1978.

 

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Ch.F.D. SCHUBARTs 250. Geburtstagsfeier

(*26. März 1739)

Ein Abend zum Gedenken an den bekanntesten Volksdichter unserer Gegend, "Stürmer und Dränger", Musiker, Journalisten und Gefangenen des Hohenasperg.

am Donnerstag, 2. März 1989, 20 Uhr, Konzerthaus Heidenheim, Nebenzimmer.

mit: Referat über Leben und Werk Schubarts von

Heiner Jestrabek (Arbeitskreis Stadtgeschichte Heidenheim)

Liedern gegen Krieg und Söldnerdienst von Schubart gesungen von

Dieter Kässmeyer (Kulturgruppe Brennglas)

Gedichten von Schubart rezitiert von

Gerhard Majer (Heidenheimer Naturtheater)

Veranstalter: Freidenkerverband Heidenheim

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