Zum deutsch-tschechischen Verhältnis - 60 Jahre Münchener Diktat

von Heiner Jestrabek

 

Kaum eine zwischenstaatlicher Text erregte in den letzten Jahren die Öffentlichkeit so sehr wie die deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung. Liegt doch eine besondere historische Last auf dem Verhältnis unserer beiden Völker. Zum 60. Mal jährt sich das völkerrechtswidrige Münchener Diktat. Uns, der Nachkriegsgeneration, das schwierige Verhältnis der Nachbarvölker näher zu bringen, soll diese Broschüre leisten. Sie soll zum kritischen Betrachten der gemeinsamen Geschichte anregen.

Die Erinnerungen von Hugo Dimter, Franz-Josef Fischer und Leopold Grünwald vermitteln ein recht lebendiges Bild der politischen Verhältnisse der Jahre zwischen den Weltkriegen. Jan Sládeks Text aus dem Jahr 1948 beleuchtet die Politik des Münchener Diktats aus tschechoslowakischer Sicht.

Die literarischen Beiträge von Schriftstellern aus Böhmen bzw. Tschechoslowaken deutscher Nationalität, wie Josef Schiller, Louis Fürnberg, Egon Erwin Kisch, Franz Carl Weiskopf und Rudolf Fuchs, sollen diejenige deutschsprachige Literatur dokumentieren, die für Völkerverständigung und Solidarität einstand.

Die Tschechoslowakische Republik - ein Vielvölkerstaat

 Unser Nachbarland war bis 1945 ein Vielvölkerstaat. Die damalige Tschechoslowakische Republik bestand kaum seit 20 Jahren und war innerlich noch wenig gefestigt. Im Staatsverband lebten dort neben Tschechen, Slowaken, Ungarn, Polen, Ukrainern über 3 Millionen Deutsche. Daneben gab es noch eine traditionsreiche und große jüdische Bevölkerungsgruppe. Die Sudetendeutschen fühlten sich mehr als Deutsch-Österreicher, denn als Tschechoslowaken. Zudem war das Verhältnis von Deutschen und Tschechen stark historisch belastet.

Jan Hus

 Der tschechische Reformator Jan Hus (1370-1415) bekämpfte bereits hundert Jahre vor Luther die katholische Kirche, das Papsttum und die religiösen Dogmen. Er förderte die tschechische Sprache und begründete eine böhmische nationalkirchliche Bewegung. Weil er gegen die Ablass- und Kreuzzugsbulle des Papstes Johannes XIII. gesprochen hatte, wurde er 1410 mit dem Kirchenbann belegt. 1415 wurde ihm vom König Sigismund freies Geleit zum Konzil von Konstanz zugebilligt, um dort seine Lehren zu verteidigen. In Konstanz wurden die Herrschenden aber wortbrüchig und verbrannten Jan Hus wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen. Ganz Böhmen war empört und die hussitische Lehre verbreitete sich nur noch mehr. 1420 formulierte die hussitische Bewegung ihre Forderungen in den „Vier Prager Artikeln“.  Die Verweigerung ihrer Forderungen führte zu den Hussitenkriegen, sie sowohl sozialreformerische wie nationalböhmische Ziele verfolgten. Unter den Führern Jan Žiška von Trocnow (1370-1424, im Bild auf dem Pferd), Prokop dem Großen und Prokop dem Kleinen errangen die Hussiten 1420 bis 1431 mehrere entscheidende Siege über die katholischen Heere. Seither zieht sich diese Tradition des Kampfes gegen religiöse Bevormundung durch die katholische Kirche, verbunden mit dem Kampf gegen nationale Unterdrückung durch die deutsch-österreichischen Herrscher, wie ein roter Faden durch die ganze böhmische Geschichte.

 Nationale und kulturelle Unterdrückung 

Ein entscheidender Rückschlag in diesem Emanzipationskampf war die „Schlacht am Weißen Berg“ von 1620. Hierbei erlitten die aufständischen Tschechen eine empfindliche Niederlage gegen die Truppen des Kaisers. Für die folgenden dreihundert Jahre bedeutete dies, für die nichtdeutschen Nationalitäten, den Verlust der nationalen Unabhängigkeit und eine konsequente Unterdrückung von deren Kultur und Sprache. Parallel dazu wurde eine gewaltsame Rekatholisierung durchgeführt. Eine bedeutende Persönlichkeit dieser Zeit, der Schriftsteller und Pädagoge von Weltbedeutung Jan Amos Komenský (1592-1670, Bild)) wurde als Ketzer aus dem Land getrieben. Die Bücher von Komenský, Pavel Stránský, Pavel Skála und anderen Landflüchtigen waren verboten und konnten nur illegal verbreitet werden. Deren Schriften wurden von Schriftkundigen aus dem Volk abgeschrieben und über die Grenzen geschmuggelt. Die auf diese Art verbreiteten Bücher waren für lange Zeit die einzige Möglichkeit tschechisch zu lesen. Von Historikern wird diese Zeit als eine, in jeder Hinsicht, kulturelle Finsternis bezeichnet.

Tschechische Wiedergeburt

 Am Ende des 18. Jahrhunderts beginnt die Zeit der tschechischen Wiedergeburt, eng verknüpft mit der Wiedereroberung kultureller und politischer Freiheiten. Viele Literaten, die die tschechische Sprache pflegten, waren zugleich politische Führer im nationalen Unabhängigkeitskampf. Dabei verstanden die, die sich für die tschechische Sprache, Kultur und Nation einsetzten, ihren Kampf durchaus nicht gegen die anderen Nationalitäten gerichtet. Es gab zahllose Beispiele für den gemeinsamen Kampf der verschiedenen Nationalitäten gegen ihre gemeinsamen Unterdrücker, z.B. anlässlich der Bauernaufstände 1680 und 1775 oder bei den Prager Barrikadenkämpfen 1848.

Im 19. Jahrhundert war es nur eine Minderheit unter den deutschsprachigen Schriftstellern in Österreich-Ungarn, die die nationalistischen Vorurteile überwanden. Die herrschende  Meinung hatte für die Kultur der nichtdeutschen Nationalitäten nur Geringschätzung und Verachtung übrig. Um so wichtiger waren deshalb das Wirken der linken deutschsprachigen Schriftsteller Böhmens von Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, wie Josef Schiller, Rudolf Fuchs, Ludwig Winder, Karl Kraus, Egon Erwin Kisch, Franz Carl Weiskopf und Louis Fürnberg. 

Deutschnationaler Chauvinismus

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte Deutschland und Österreich-Ungarn eine Hochkonjunktur chauvinistischer und antisemitischer Literatur. Im Habsburgerreich waren nichtkatholische Minderheiten und v.a. die Juden vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt. Die „katholische Wiedergeburt“ des geistigen Lebens sollte vor allem auf Kosten der Nichtdeutschen und Nichtkatholiken gehen. Der österreichischen Politiker Karl Lueger,  Abgeordneter der „Christlich-Sozialen Partei“, war seit 1897 Bürgermeister von Wien. Der Judenhass spielte bei den „Christlich-Sozialen“ sogar von Anfang an eine dominante Rolle. Die „Christlich-Soziale Partei“ war somit antisemitisch und nationalistisch geprägt. Seit 1907 war sie die stärkste Partei im österreichischen Abgeordnetenhaus. Nicht zufällig bezeichnete Hitler gerade den Politiker Lueger als seinen Lehrmeister.

 Erste Republik

1918, nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns, kam es zur Gründung der ersten Tschechoslowakischen Republik. Stärkste Partei innerhalb der ca. 3 Millionen Menschen zählenden deutschen Nationalität, angesiedelt v.a. in den Grenzgebieten von Böhmen und Mähren, einigen Sprachinseln und in Prag, wurde die „Deutsche Sozialdemokratische Arbeiter-Partei in der Tschechoslowakischen Republik“ (DSAP). Diese arbeitete eng mit der österreichischen Sozialdemokratie zusammen und überwand leider nie ganz nationale Positionen. So gehört in den frühen 20er Jahren zu deren Forderungen die Autonomie und Währungsunion mit Österreich und die völkerrechtliche Neutralisierung der Sudetengebiete. Im Gegensatz zur Parteiführung unter Josef Seliger strebte der linke Parteiflügel den Zusammenschluss aller nationalen Abteilungen des tschechoslowakischen Sozialdemokratie zu einer einheitlichen marxistischen Partei an. Die heftigen politischen Auseinandersetzungen dieser Jahre führten 1921 zur Abspaltung der „Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (Deutsche Abteilung)“. Zusammen mit den tschechischen und slowakischen Kommunisten erreichten sie eine Mitgliederzahl von 400.000 und konnten somit in dem kleinen Land eine wichtige Rolle spielen. Die DSAP blieb allerdings die stärkste politische Kraft im Sudetengebiet und stellte zeitweilig Minister in Prag.

Freidenkerbewegung

Parallel zu dieser Entwicklung erlebte die Freidenkerbewegung in der Tschechoslowakischen Republik einen ungeheuren Aufschwung. In den Jahren der 1. Republik traten fast 1,5 Millionen Katholiken aus der Kirche aus, darunter jeder zweite tschechische Lehrer. Kein Wunder also, dass der Vatikan aktiv an Destabilisierungsversuchen der „Republik der Hussiten“ mitwirkte, vor allem durch die Unterstützung der separatistischen Bewegung der slowakischen Katholiken in der „Slowakischen Volkspartei“, einer slowakisch-nationalistischen und antisemitischen Partei. Geführt wurde diese Partei vor dem Prälaten Hlinka (Bild links) und nach seinem Tod 1938 von dem katholischen Geistlichen Josef Tiso (Bild rechts). Tiso machte, im Bund mit Hitler, die Slowakei selbständig und errichtete dort ein klerikal-faschistisches Regime. Im Bund mit Hitler beteiligte sich Tiso an allen Verbrechen der Faschisten im 2. Weltkrieg. Die Juden wurden in der katholischen Slowakei ebenso grausam verfolgt wie in Deutschland und die Kirche bemächtigte sich sogar deren Besitz.

Emigrationsland

 Zurück zur Vorkriegsrepublik. Prag entwickelte sich zu einem Zentrum der antifaschistischen Emigration. Seit der Machtübernahme der Nazis in Deutschland 1933 und den Februarkämpfen in Wien 1934 strömten aus den beiden Ländern Unmengen von politischen Flüchtlingen. Die deutschen und österreichischen Sozialdemokraten, jetzt in der Illegalität, führten von Prag aus ihren antifaschistischen Kampf. Im Prager Manifest von 1934 musste die SPD ihre schweren Fehler der Vergangenheit und die Niederlage gegen die Faschisten eingestehen.

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise trafen die böhmisch-mährischen Grenzgebiete besonders hart. Arbeitslosigkeit und Elend verbreiteten sich unter den Arbeitern. Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende wurden in den Ruin getrieben. 1934 wurde die Arbeitslosenunterstützung um die Hälfte gekürzt und teilweise ganz gestrichen. Von den 800.000 Arbeitslosen des Jahres 1935 fielen auf die böhmisch-mährischen Grenzgebiete 286.787. Die hohe Arbeitslosigkeit diente als Druckmittel auch für die, die noch eine Arbeit hatten. Lohnkürzungen von 20-50 % diktierten die Unternehmer.

 Henlein-Faschisten

In dieser Situation nahmen die Henlein-Faschisten der „Sudetendeutschen Partei“, als Agentur Hitlers regen Aufschwung. Demagogisch argumentierten sie, die Tschechen wollten die deutschsprachigen Grenzgebiete aushungern. Wohlwissentlich verschwiegen sie, dass gerade ihre Geldgeber, die deutschen Unternehmer, den Arbeitern die niedrigsten Löhne bezahlten. Diese sudetendeutschen Unternehmer begnügten sich nicht nur mit der unmenschlichen Ausplünderung ihrer deutschen „Volksgenossen“, sondern exportierten auch ihr Kapital nach Rumänien, Deutschland, Südamerika und verlagerten ihre Betriebe ins Ausland v.a. nach Österreich, Deutschland und Italien. Gutgemeinte Regierungsaufträge aus Prag wurden mehrfach abgelehnt.

Die Parlamentswahlen 1935 brachten einschneidende Veränderungen. Die DSAP verlor mehr als 40 % ihrer Stimmen und wurde von den Henlein-Faschisten überholt. Aber erst durch den Anschluss der von Hans Schütz geführten „Christlich-Sozialen Partei“ und Gustav Hackers „Bund der Landwirte“ an die Henlein-Partei wurden die Faschisten unter den Sudetendeutschen dominierend. Der aufgestachelte Nationalitätenhass erzeugte wiederum Gegenhass auf Seiten der Tschechen. Betrieb Präsident Masaryk (tschechoslowakischer Präsident von 1918 bis 1935) noch eine Politik des Ausgleichs zwischen den Nationalitäten, erhielt der  tschechische Nationalismus einen Aufschwung unter seinem Nachfolger Edvard Beneš (Präsident 1935-38 und 1945-48). Nur auf Grund des aufgeputschten Nationalitätenhasses und der brutalen Verbrechen der Hitlerfaschisten lässt sich verstehen, warum es zur Tragödie der Vertreibungen nach 1945 kommen  musste.

 Antifaschistischer Widerstand

 Einen verzweifelten Kampf gegen den Nationalismus führte, nach der Kapitulation der Bürgerlichen vor den Henlein-Faschisten, hauptsächlich nur noch die politische Linke. Aufgrund deren Initiative verabschiedete die Prager Regierung 1937 ein „Memorandum über den nationalen Ausgleich“, dass die vorwiegend deutschsprachigen Grenzgebiete wirtschaftlich förderte, die soziale und gesundheitliche Situation verbessern wollte und Einstellungen im öffentlichen Dienst nach dem Nationalitätenschlüssel vorsah.

Nach der Okkupation Österreichs am 13. März 1938 bereitete Nazideutschland jetzt die Annexion der Tschechoslowakischen Republik vor. Die Henlein-Faschisten taten das ihre, um die Republik „sturmreif“ zu machen. Mit ihren bewaffneten Schlägertrupps, dem sog. „Freiwilligen Schutzdienst“ provozierten sie im Grenzgebiet Unruhen mit dem Ziel, Panik unter der Bevölkerung zu stiften. Dadurch sollte der Weltöffentlichkeit ein glaubhafter Vorwand für den militärischen Einfall der Hitlerfaschisten geliefert werden. Im Mai 1938 bildeten sich, von den Arbeiterparteien gegründete, bewaffnete Arbeiterwehren in den Grenzgebieten. Als dann auch noch die Hitlerregierung unverhohlen drohte, „Deutschland wird eine weitere Drangsalierung seines Volkstums nicht ruhig hinnehmen“ (Außenminister Ribbentrop), verkündete die tschechoslowakische Regierung am 21. Mai 1938 eine Mobilisierung und ließ die Grenzen militärisch besetzen. Dieses entschlossene Handeln verhinderte die bedrohliche Situation und konnte die deutsche Aggression vorläufig abwenden.

Münchener Abkommen

Das „Münchner Abkommen“ zwischen Hitler, Mussolini, Chamberlain und Daladier vom September 1938 lieferte dann aber die Völker der Tschechoslowakischen Republik an Hitlerdeutschland aus. Mitte September versuchten die Henlein-Faschisten, im Auftrag der Berliner Regierung, die Tschechoslowakischen Republik durch einen Putsch von innen her aufzurollen. Der Putsch scheiterte schon in den Anfängen und die Anführer mussten Hals über Kopf nach Deutschland fliehen, weil der Großteil der deutschen Bevölkerung den Henlein-Putsch noch nicht unterstützte!

 Okkupation

Am 1. Oktober 1938 besetzte Nazideutschland, mit der Rückendeckung der Westmächte, das Sudetengebiet und im März 1939 den Rest, um ihr „Protektorat Böhmen und Mähren“ zu errichten. In der Slowakei wurde ein klerikal-faschistisches Marionettenregime  ins Amt gesetzt. Die Arbeiterbewegung wurde, wie schon in Deutschland, brutal verfolgt. Alle Parteien, auch die Henleins wurden aufgelöst. Die Angehörigen der tschechischen Nationalität verloren alle ihre Rechte und wurden tief gedemütigt. Die 315.000 jüdischen Bürger wurden zum größten Teil ermordet. 1946 lebten nur noch 60.000 von ihnen. Der kleinen Tschechoslowakischen Republik, mit ihren damals 13 Millionen Einwohnern, brachte die Nazizeit nochmals mindestens 300.000 Tote. Unvergessen sind auch die Gräuel der Gestapo. Allein in der ‘Kleinen Veste’ (Mala pevnost) bei Leitmeritz fand man nach der Befreiung 26.000 Leichen und noch einmal 25.000 Urnen mit der Asche der Ermordeten. Bei der exemplarischen „Vergeltung“ für die Erschießung des Reichsprotektors Heydrich wurde das Dorf Lidice völlig niedergebrannt, 184 Männer und 7 Frauen an Ort und Stelle erschossen und die restlichen Dorfbewohner, darunter 104 Kinder, ins Konzentrationslager verschleppt. Von den Kindern kehrten nur 16 lebend wieder zurück.

 Reaktion des Vatikan

Textfeld: Und wie verhielt sich die Kirche angesichts der tschechoslowakischen Tragödie? Der Vatikan war über das Ende der „Hussitenrepublik“ überfroh. Unmittelbar nach der Besetzung der Tschechoslowakischen Republik beeilte sich der Papst Pius XII. am 25. April 1939 um sich bei Hitler anzubiedern: „Wir freuen uns der Größe, des Aufschwungs und des Wohlstands Deutschlands, und es wäre falsch, zu behaupten, dass wir nicht ein blühendes, großes und starkes Deutschland wollen.“ Praktisch wirkte jetzt das vatikanisch-deutsche Konkordat auch in Böhmen und Mähren. Die Trennung von Kirche und Staat, wie sie in der Tschechoslowakischen Republik bestanden hatte, war somit aufgehoben. Nach der Flucht von Präsident Beneš nach London, wurde sein Nachfolger, von Hitlers Gnaden, der gläubige Katholik Emil Hácha. Die Kurie begrüßte ausdrücklich dessen Wahl. Hácha hatte bereits vor der Besetzung alle Juden aus dem öffentlichen Dienst, Industrie- und Bankunternehmen entfernen lassen. Dieser Katholik Hácha legte dann auch in Berlin am 14. März 1939 „das Schicksal des tschechischen Landes und Volkes vertrauensvoll in die Hände des Führers.“

Im „Protektorat Böhmen und Mähren“ wurden nicht nur Juden verfolgt, auch die orthodoxen Gemeinden waren verboten. Katholische Kirchenführung und Nazis taten einander nicht weh. Der durch seine Härte bekannte SS-Reichsgruppenführer und Reichsminister für das Protektorat Karl Hermann Frank, der Vernichter von Lidice, schrieb an Hitlers Hauptquartier, er, Frank, stütze sich auf die höheren tschechischen Würdenträger der katholischen Kirche. Die antifaschistischen Geistlichen hatte man bald nach dem Einmarsch in Konzentrationslager gesteckt, insgesamt 487.

 Nach 1945

Nach dem Sieg über den Faschismus erwachte verständlicherweise der tschechische Nationalismus. Schon während des Kriegs wurde die Frage der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung diskutiert. Präsident Beneš und der größte Teil des Widerstands erwogen dabei eine Differenzierung zwischen Nazis und der einfachen Bevölkerung. Bis 1943 traten die tschechischen Kommunisten, als aktivste Widerstandsgruppe, für die Aussiedlung maximal der aktiven Nazis ein. Das Bekanntwerden der Pläne der Naziführung, nach ihrem Endsieg alle Tschechen zu vertreiben (Hitler gegenüber Hácha: "Nichts kann mich hindern aus Böhmen und Mähren ein paar Millionen Tschechen auszusiedeln ... In diesem Raum hat nur eines von den beiden Völkern Platz.") und der unvorstellbare Terror der Besatzer gegenüber den Protektorat-Bürgern, erzeugten verständlichen Gegenhass. Die 1946 im „Potsdamer Abkommen“ festgelegten Umsiedlungen der deutschen Bevölkerung aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakischen Republik waren aus der Sicht der östlichen Nachbarvölker verständlich. Für die antifaschistischen deutschen Minderheiten, die gegen Hitler und für die Republik gekämpft hatten, blieben die Umsiedlungen ungerecht. Auch unter den Sudetendeutschen war, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl, deren Widerstand durchaus gleich häufig, wie der in Österreich oder Deutschland (siehe Leopold Gründwald: Sudetendeutscher Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Benediktbeuern 1986). Gleichwohl gehörten die antifaschistischen Vertriebenen zu den ersten, die für eine friedliche Verständigung mit unseren Nachbarn eintraten, im Gegensatz zu den revanchistischen „Berufsvertriebenen“, die in den Vertriebenenverbänden lauthals über „Verbrechen an Deutschen“ lamentieren. Die vorangegangenen Verbrechen  der Nazis aber "vergaßen" diese zu erwähnen. Nicht wenige dieser Funktionäre waren ehemalige Aktivisten der Henlein-Partei und somit Mitschuld an nationalistischer Völkerhetze, Krieg und Vertreibung.

 

Aus: Zum deutsch-tschechischen Verhältnis. Dokumentation zum 60. Jahrestag des Münchener Diktates 1938

Mit Beiträgen zur Geschichte von Freidenkertum und Arbeiterbewegung von Heiner Jestrabek (Herausgeber), Hugo Dimter, Franz-Josef Fischer, Leopold Grünwald, Jan Sládek, Josef Schiller, Egon Erwin Kisch, Louis Fürnberg, Franz Carl Weiskopf und Rudolf Fuchs.

Inhalt: 

Heiner Jestrabek:  Zum deutsch-tschechischen Verhältnis 60 Jahre Münchener Diktat

Hugo Dimter:  Aus meinem Leben

Franz-Josef Fischer: Für ein Leben ohne Krieg und Faschismus ...

Leopold Grünwald: Erinnerungen eines alten Freidenkers

Heiner Jestrabek: Interview mit Leopold Grünwald

Jan Sládek: Nie wieder München

Josef Schiller: Ausgewählte Gedichte

Egon Erwin Kisch: Aus Glaubenshass

Louis Fürnberg: Papst-Gedichte

Franz Carl Weiskopf: Nachdichtungen und Anekdoten

Rudolf Fuchs: Gedichte aus der Emigration