Die Reformation im Heidenheimer Land

von Heiner Jestrabek

In unserer Gegend war die Macht der mittelalterlichen Kirche besonders ausgeprägt. Es gab die Zisterzienserabtei in Königsbronn mit einem Bruderhaus in Küpfendorf, in Anhausen eine Benediktinerabtei, in Herbrechtingen ein Chorherrenstift. Mit den nahegelegenen Klöstern in Neresheim, Ellwangen, Lorch, Elchingen bezeichnete man das Brenztal als "Schwäbische Pfaffengasse".

Schwäbische Pfaffengasse

Die Benediktiner und die Zisterzienser gehen auf den Klostergründer Benedikt (480-550) zurück: "Vater des abendländischen Mönchstums, dessen Strenge seine ersten Mönche und dem Priester Florentinus zu Mordanschlägen auf ihn trieb, vergriff sich an dem alten Apollotempel, dem letzten Apollotempel, den die Geschichte kennt. Benedikt fand nach Heiden, fällte ihre heiligen Haine, zerschlug das Götterbild, den Altar und wurde noch 1964 durch Papst Paul VI. zum Patron Europas ernannt." (nach Karlheinz Deschner. Kriminalgeschichte) Als Heiliger ist Benedikt gegen Gift zuständig.

Im Jahr 774 wurde die Herbrechtinger Stiftskirche zu Ehren des Heiligen Dionysius gestiftet. Dort wurden die "echten" Gebeine des Heiligen Veranus, Bischof von Cavaillon, der mit bloßem Kreuzzeichen "sofort durch Gottes Gnade heilte", beigesetzt. Dionysius existiert übrigens in zwei vollständigen Exemplaren zu St. Denis und St. Emmeran. In Prag und Bamberg liegt je eine Kopf und in München eine Hand. Er hatte also zwei Leiber, vier Köpfe und fünf Hände! (nach Otto v. Corvin)

Kritik am Klerus

Um das Jahr 1500 gerieten Papst und Kirche immer mehr ins Zielfeuer der Kritik. Ablaßkrämerei, ein großangelegter Schwindel und Handel mit Reliquien, das lasterhafte Leben und die Völlerei in den Klöstern wurden immer offenkundiger. Trotz Zölibat waren "Begegnungen" zwischen Nonnen und Mönchen weit verbreitet. Der schwäbische Volksmund pflegte den Vergleich:

"Er hurt wie ein Karmeliter

frißt wie ein Bernhardiner,

säuft wie ein Franziskaner

und stinkt wie ein Kapuziner"

Satirische Darstellung des ausschweifenden Lebenswandels der höheren Geistlichkeit, Könige und Fürsten. Holzschnitt 1546.

Doppelmoral

Frauenklöster galten, in dieser Zeit, nicht selten als beliebte Absteige für geile Junker, Bischöfe und Adelige. Das Zölibat, das ja erst im 11. Jahrhundert von der Kurie als verbindlich eingeführt wurde, diente hauptsächlich dazu, die enormen Reichtümer der Kirche nicht durch Erbteilung zu verkleinern. Natürlich wußten die Päpste, daß sich natürliche Bedürfnisse nur schwer unterdrücken lassen und berechneten dies gleich als feste Einnahmequelle mit ein. Für die Sünde der Unkeuschheit der Mönche wurden Ablässe verkauft, ein fester "Hurenzins" wurde für alle Kleriker erhoben. Papst Sixtus IV. führte diesen Ablaß 1480 als jährliche Pflichtabgabe ein.

Kindermord

"... es gab auch Frauenklöster, deren Wände ungescheut ‘von Kindern beschrieen’ wurden. So das Kloster Gnadenzell auf der Schwäbischen Alb, wie denn überhaupt im 15. Jahrhundert die Nonnenklöster Schwabens durch ihre schamlose Wirtschaft ärgerliches Aufsehen erregten. Das Frauenkloster zu Kirchheim unter Teck war wie 'ein offenes Freudenhaus'. Um 1484 war die Liederlichkeit im Kloster Söflingen bei Ulm so zum Skandal geworden, daß der Bischof eine Untersuchung anordnete. Der damit beauftragte Kommissar berichtete an den Papst, er habe in den Zellen der Nonnen Liebesbriefe höchst unzüchtigen Inhalts gefunden, Nachschlüssel, weltliche Kleider und - o Schreck der Schrecken! - die meisten Nonnen seien in gesegneten Umständen gewesen. Bei Abbrechung des Klosters Mariakron fand man 'in den heimlichen Gemächern und sonst Kinderköpfe, auch ganze Körperlein versteckt und vergraben'. Hier haben also die Nonnen die heimliche Geburt getötet, verscharrt und brav weiter als Vorbilder der Keuschheit gegolten." (nach Emil Rosenow)

Kindsmord und Abtreibung war in vielen Nonnenklöstern verbreitet. Die Doppelmoral entlarvte sich selbst.

 

"Was haben wir armen Schafe gedacht, daß wir bei dem Wolf zur Beichten gehen?"

Zeitgenössisches Spottblatt auf den Mißbrauch der Beichte.

Stätten des Lasters

Daß die Klöster vor Jahrhunderten einmal eine fortschrittliche Rolle gespielt hatten bei der Urbarmachung von Wäldern und Sümpfen und durch ihre Klosterschulen, diese Zeiten waren lang vorbei und die Klöster galten jetzt nur noch als Stätten der Unzucht und des Lasters, der Prasserei und Völlerei - und die Mönche als Spürhunde des römischen Papstes. Natürlich gab es redliche Ausnahmen. Aber, in nichts waren sich hoch und niedrig zur Zeit der Reformation so einig, wie in der Verurteilung der Klöster. Wer auch sonst nichts gegen die Kirche vorzubringen wußte, der rümpfte zumindest die Nase, wenn von Mönchen, Nonnen und Klöstern die Rede war.

Mißstände im Amt

Auch aus unserem Landstrich sind Mißstände bekannt geworden. Der Heidenheimer Pfarrer Schenk kam um die Jahrhundertwende immer wieder ins Gespräch, weil er seine Pfarrei nicht richtig versah, wenig oder gar keine Messen oder Predigten hielt oder sie von liederlichen Helfern halten ließ, während er in Geschäften auswärts war. Außerdem spräche er dem Wein zu viel zu, mache Schulden, habe offenen Händel und habe auch sittliche Verfehlungen begangen. Klagen der Heidenheimer beim Bischof in Augsburg und beim Herzog blieben erfolglos.

Der Abt von Anhausen mußte als Gefangener sein eigenes Gefängnis beziehen, weil er mit seinen wenigen Brüdern 11.000 Gulden Schulden gemacht hatte.

Vom Kloster Herbrechtingen war bekannt, daß 7 Konventsmitglieder gleichzeitig im Turm saßen, weil sie "vom geraden Weg der Ehrbarkeit und des religiösen Lebens gänzlich abgekommen waren".

Viele verließen einfach ihre Klöster. So wurde das Kloster Elchingen bis auf 14 Mönche entvölkert.

Visitation

Im Februar 1522 erlebte das Kloster Herbrechtingen eine Visitation durch einen Vertreter des Bischofs von Augsburg Christoph von Stadion, der als relativ reformfreudig galt. Zahlreiche Mißstände kamen so ans Tageslicht und wurden bemängelt: Der Probst solle sich künftig der Lästerworte und boshafter Reden enthalten und seinen Zorn bezähmen. Besonders soll der Probst und seine Brüder kein längeres Zusammensein mit Frauen, besonders solchen leichtsinnigen Wesens, mehr haben. Überflüssige Getränke, die Ordensleute für ihre Aufgabe ungeschickt machen und bei allen Weltleuten als verabscheuungswürdig gelten, sollen künftig gemieden werden. Untersagt wurde auch künftig das (nackte) Baden außerhalb des

Fahrende Kleriker mit ihren Liebesschwestern. Kupferstich 1500.

Klosters mit anderen Weltleuten. Auch Waffen sollen keine mehr geführt werden. (nach P.A. Weißenberger)

Feind aller Bildung

Im selben Jahr wurde ein Gerstetter Bauernsohn in Anhausen Abt. Johannes Bauer, der sich jetzt Agricola nannte, galt als Feind aller Bildung und der Gebildeten. Er wollte weder für die Jugend des Orts einen Lehrer, noch kaufte er selbst Bücher.

In den Ratsprotokollen der Stadt Ulm wurde über Landgeistliche des Amts Heidenheim berichtet, die wegen ihres schlechten Lebenswandels vor den Rat geladen, gemaßregelt oder bestraft worden sind. Einer hocke auf allen Kirchweihen herum und habe auch ein Kind von seiner Magd. Auch ein anderer sitze unehelich bei seiner Magd und habe zwei Kinder von ihr. Ein anderer brachte es gar auf fünf uneheliche Kinder. Der Gerstetter Pfarrer Heckel hatte gar zwischen 1530 und 1536 jährlich mindestens einmal recht hohe Frevelstrafen zu bezahlen.

Reformation in Ulm

Wirtschaftliches Interesse und die angespannte politische Situation Ulms führte 1531 die protestantischen Städte zum Zusammenschluß im "Schmalkaldischen Bund".

Dieser Prozeß findet seinen Höhepunkt in Ulm am 19. Juni 1531 im sogenannten "Bildersturm". Dabei ist die, entgegen sonstigen Schilderungen, gut organisierte und geordnete Durchführung hervorzuheben. Vor allem die Sicherung ökonomischer Interessen führten den Kaiser und die protestantischen Reichsstände zum "Nümberger Religionsfrieden" 1532. Unter dessen Schutz entwickelten sich gute Bedingungen für das gerade entstehende Handelskapital und die neue Lehre konnte sich in Ulm ausbreiten.

(aus: Das andere Ulm. Ein Stadtführer)

In Ulm wurde 1531 die Reformation eingeführt. Zunächst hatten die Ulmer Herren noch Bedenken, dies auch in der neu erworbenen Herrschaft Heidenheim zu tun. Erst 1534 wagten sie es, den evangelischen Prediger Martin Fracht aus Ulm nach Heidenheim zu schicken, um hier im Auftrag des Ulmer Rates das Werk der Reformation zu beginnen. Obwohl es sich bei ihm um einen bedeutenden Mann gehandelt haben soll, war seinem Wirken zunächst kein Erfolg beschieden. Abgesehen von der Tatsache, daß in der Michaelskirche die Frühmesse abgeschafft wurde und das ersparte Geld zur Unterstützung der Armen und zur Besoldung eines "Zucht- und Schulmeisters" überlassen wurde.

Als 1536 Herzog Ulrich von Württemberg Heidenheim von Ulm zurückerworben hatte, begann das Werk der Reformation von Neuem. Der Herzog entsandte zahlreiche Reformatoren nach Heidenheim. Allmählich setzte sich so die 'Reformation von oben' bei uns durch.

Reformation in Giengen

In der Reichsstadt Giengen begann die Reformation schon recht früh. So wandten sich 1529 vier Giengener in einer umfangreichen Bittschrift an den Rat, er möge einen evangelischen Prediger fest anstellen. Auch der bekannte Reformator Martin Rauber wirkte in den Jahren 1531 und von 1534 bis 1539 in Giengen. So wird berichtet, daß der Rat ständig bemüht war, den Eifer Raubers zu dämpfen, damit der Stadt von Seiten des Kaisers kein Nachteil entstand. Der Rat verhinderte die von Rauber gewünschte Wegschaffung der Heiligenfiguren und das Abbrechen der Altäre.

Die württemberische Kirchenordung von 1537 brachte die Durchsetzung der evangelischen Lehre in Giengen und Heidenheim. Aus diesem Anlaß hielt sich auch der Reformator Dr. Martin Butzer aus Straßburg Anfang 1537 in Giengen auf. Der Rat der Stadt ging nun zielstrebig daran, die Jahresstiftungen und die Pfründe aufzulösen. Deren Besitz wurde den Almosenpflegern zugeschlagen. Die alten Kirchenutensilien und Ornate wurden recht respektlos behandelt, bzw. nützlichen Zwecken zugeführt. Die Ornate der St.-Ulrich-Kapelle wurden 1538 zu Hemden für arme Kinder verarbeitet.

"Pfaffen und Mönche sind des Teufels Weizen, oder wie das Korn, so das Mehl." Satirisches Flugblatt aus dem Jahr 1577.

Zerstörung Anhausens

Auch die evangelischen Fürsten dehnten ihren Machtbereich aus. Der Kurfürst von Sachsen und andere evangelische Fürsten zogen nach Süddeutschland gegen Ulm. Sie belagerten die Stadt und verbrannten 18 ulmische Dörfer. Der Markgraf Albrecht von Brandenburg, der große Pfaffenfeind, zog durchs Brenztal abwärts, um Rache an den Katholischen zu nehmen. Dabei wurde das Kloster Anhausen "geplündert, zerrissen, zerschlagen und gar auf den Grund verderbt."

Das Interim

Nach der Niederlage des protestantischen Schmalkaldischen Bundes verfügte Kaiser Karl V. auch für Giengen die Einführung des Interims. Das Augsburger Interim 1548 regelte die politischen und theologischen Fragen für eine Übergangsperiode durch eine Art Waffenstillstand, der aber in der Praxis die reformatorische Bewegung aufhielt. Das Interim gestand zwar das lutherische Abendmahl und die Priesterehe zu, machte aber die katholische Messe verpflichtend.

Zeitgenössisches Spottbild auf Pfaffen und Mönche, die, "anstatt Christi Herde zu weiden die Schafe fressen."

Im Zuge des Interims wurden in Giengen die alten Religionskulte wieder eingeführt. In Giengen lag eine kaiserliche Besatzung und so mußte denn auch der Giengener Rat, gegen den Willen der Bürger, eine neue Gottesdienstordnung einführen. Dies erregte großen Widerstand seitens der Einwohnerschaft. Deshalb mußten Stadtknechte in der Kirche aufpassen, daß beim Messelesen die Zeremonien nicht verspottet wurden. Erst am 31. Dezember 1554 beschloß dann der Rat die Aufhebung des Interims. In den Jahren davor gab es einen langen und hartnäckigen Streit zwischen dem, dem Interim verpflichteten Pfarrer Clemens Halbhirn und dem protestantischen Prediger Georg Rheticus. Der Stadtschreiber Ulrich Natter vermerkte deshalb im Ratsprotokoll: "Hab Gott lieb und den Wein, und laß Pfaffen Pfaffen sein."

Die Täufer

Die revolutionäre Bewegung der "Täufer", auch "Wiedertäufer" genannt, machte dem Giengener Rat Ärger. Die Täufer entstanden 1525 in Zürich und verbreiteten sich im ganzen Reich. 1534/35 kamen die Täufer in Münster unter Johann Bockelson an die Macht und wurden, nach ihrer Niederschlagung, blutig und grausamer niedergemetzelt. Die Täufer waren eine Bewegung mit sozialreformerischen bis urchristlich-kommunistischen Zielen unter Anknüpfung an die Bergpredigt. Sie forderten die Erwachsenentaufe auf Grund bewußter Entscheidung. Viele ihrer Anhänger lehnten jegliches Privateigentum ab. Auch in Giengen wuchsen die Aktivitäten der Täufer erheblich an. Angesehene Bürger, wie der Stadtbaumeister Leonhard Kneulein, zählten zu ihren Anhängern. 1558 griff der Rat hart durch. Die Prediger und Theologen wurden beauftragt, die Täufer zu "bekehren", damit sie dem "Irrglauben" abschworen. Wer nicht abschwor, und das waren einige Bürger, wurde rücksichtslos aus der Stadt getrieben. Die Täufer hatten auch zwischen 1529 und 1531 Anhänger in Hohenmemmingen und Sontheim, später auch in Schnaitheim.

Anhänger des Schweizer Reformators Zwingli war der Pfarrer Klump von Gerstetten, der großen Zulauf vom Ulmer Land hatte. Dies war verständlich, da ja Ulm zuerst zwinglianisch gewesen war, bevor man zum Luthertum umschwenkte.

Klosterauflösungen

Die württembergische Reformation brachte schließlich die Auflösung der Klöster Anhausen und Herbrechtingen. Die Pröbste und Chorherren wurden gegen Abfindung entlassen. Lediglich Königsbronn blieb vorläufig verschont, weil es als Familienstiftung der Habsburger besonderen Schutz genoß. Die von oben befohlene Fürstenreformation nach Luther setzte sich schließlich bei uns durch.

Gegenreformation

Auch die katholische Seite erlebte ihre jesuitische Reform. Der Orden der Jesuiten vollbrachte das Kunststück, die katholische Kirche den Anforderungen der modernen bürgerlichen Gesellschaft anzupassen. Die Jesuiten, auch 'Kaufleute des Papstes' genannt, waren hochgebildet und scheuten keine Intrigen um ihre Interessen durchzusetzen. Ein Zentrum der jesuitischen Gegenreformation in Süddeutschland war Ellwangen. Jesuiten missionierten das evangelische Umland bis ins Brenztal hinein. Die Gegenreformation machte fast ganz Süddeutschland und das Rheinland wieder katholisch. Württemberg und damit Heidenheim blieben ein südlicher Vorposten des Luthertums.

 

Evangelisches Württemberg

Den evangelischen Untertanen Württembergs blieben jetzt zwar Beichte, Klöster, Zölibat, Reliquienschwindel, u.a. Auswüchse des Klerikalismus erspart, aber für das einfache Volk war das religiöse Bekenntnis nicht frei. Der Landesherr bestimmte selbstherrlich über das religiöse Bekenntnis seiner Untertanen und hatte die Leitung der evangelischen Landeskirche in Württemberg inne (landesherrschaftliches Summepiskopat). Das Volk wurde lutherisch, weil es ihm befohlen wurde und auf Zuwiderhandlung Strafe stand. Wer nicht mindestens einmal am Sonntag die Predigt besuchte, mußte 1, später sogar 2 Gulden Strafe bezahlen. Arme wurden bei Wasser und Brot im Turm bestraft.

Schulwesen

Im evangelischen Württemberg wurden nach 1649 die Volksschulen, mit allgemeiner Schulpflicht, eingeführt. Die Schulen unterstanden der evangelischen Kirche. Die Schulmeister waren die Bediensteten des Pfarrers, wenig geachtet und mit einem Hungerlohn ausgestattet. Noch heute ist die württembergische evangelische Kirche besonders stolz auf diese schulische Pionierleistung. Aber wie sah diese Erziehung aus? Der Fächerkanon umfaßte, nach der für Württemberg gültigen Schulordnung von 1729, in erster Linie das Memorieren von Bibelsprüchen, Gesangbuchliedern, Katechismusstücken und Gebeten. Im Jahr 1800 waren trotz Schulpflicht immer noch 80 % (!) der Bevölkerung Analphabeten. Die Schule diente also nur nebenbei der Wissensvermittlung. Ihr Hauptziel war vielmehr die Erziehung zu gehorsamen Untertanen. Erst nach der Revolution von 1848/49 gelang es, den Religionsunterricht auf 6 bis 7 Stunden wöchentlich zu verkürzen. Erst ab dieser Zeit konnte vermehrt Naturwissenschaft und wirkliche Bildung vermittelt werden.

Kirchenkonvente

1644 wurden in Württemberg "Kirchenkonvente" eingeführt. Initiator dieser theologischen Spezialität war der Calwer Dekan Johann Valentin Andreae (1585-1654). Es waren dies örtliche Sittengerichte unter dem Vorsitz des Ortspfarrers. Diese Kirchenkonvente, die erst 1891 offiziell abgeschafft wurden, verhandelten und bestraften die Verfehlungen der Untertanen, wie Kirchensäumigkeit, Fluchen, Sonntagsarbeit, Zaubern, Trinken, Raufhändel und das "Zusammenschlupfen" unverheirateter Paare. Bestraft wurden auch ledige Mütter und Kindsgeburten vor dem neunten Monat nach Eheschluß. Die Strafen konnten recht drakonisch sein: Geldstrafen, Einsitzen und Prangerstehen mit entsprechenden Schandmasken. (Ein recht lebendiges Bild hiervon bietet sich den Besuchern des sehenswerten Kriminalmuseums in Rothenburg o.d. Tauber).

Am Sonntag und an Feiertagen herrschte Teilnahmepflicht beim Gottesdienst. Streng beachtet wurde auch das Gebot zur Sonntagsruhe: keine Fuhrwerke, Wirtschaftsbesuche, Tanzen und Spielen, Lärmen und Erledigungen. Umgänger kontrollierten während der Gottesdienste die Häuser. Hierzu mußte sogar die Hausschlüssel deponiert werden. Büttel beaufsichtigten in der Kirche die Gläubigen und schauten streng nach Schläfern und Schwätzern. Geregelt war dies in den Verordnungen der Württembergischen Landeskirche von 1654, die alle zwanzig bis dreißig Jahre erneuert wurden, bis 1844.

Übelhäuser

Eine folgenreiche Verordnung war auch das "Generalrescript" von 1781 gegen die "Übelhäuser". Jeder, der seine Landwirtschaft schlecht betrieb oder sein Haus "verludern" ließ, konnte enteignet (!) werden. Die Verhandlung hierzu fand vor dem Kirchenkonvent statt. Gezielt wurde das Einander-Beobachten und Verpetzen gefördert, denn der Petzer erhielt das "Anbringdrittel", ein Drittel der entsprechenden Geldstrafe oder des enteigneten Besitzes. Keiner traute sich nunmehr, seine Wirtschaft zu vernachlässigen. Nach außen hin mußte so getan werden, als ob man niemals müßiggängig wäre und immer schwer schaffig sei. Überbleibsel dieser "Landessitten" sind heute noch die übertriebene Putzsucht und die Institution der Kehrwoche bei den Schwaben.

Quellen und weiterführende Literatur:

o      Ernst Guther. Gerstetten und seine Nachbarn. Selbstverlag Gerstetten 1984. (Hauptquelle Heidenheimer Daten)

o      P. A. Weißenberger. Ein bischöflicher Reformversuch im Kloster Herbrechtingen. in 75 Jahre Heimat- und Altertumsverein Heidenheim. Kopp Heidenheim 1971.

o      Karlheinz Deschner. Das Kreuz mit der Kirche. Eine Sexualgeschichte des Christentums. Heyne München 1974.

o      Karlheinz Deschner. Kriminalgeschichte des Christentums. Bd. 4 S. 41. Rowohlt Reinbeck 1994.

o      Otto v. Corvin. Pfaffenspiegel. S. 81. 1845. Neuaufl. Freistühler Schwerte 1977.

o      Emil Rosenow. Wider die Pfaffenherrschaft. Kulturbilder aus den Religionskämpfen des 16. u. 17. Jahrhunderts. Vorwärts Berlin o.J.

o      Das andere Ulm. Ein Stadtführer. Freidenker Ulm/Neu-Ulm o.J.

o      (Hrsg.) Arbeitskreis Stadtgeschichte Giengen. 900 Jahre Giengen. Beiträge zur Stadtgeschichte. Giengen 1978.

o      Angelika Bischoff-Luitlen. Der Schwabe und die Obrigkeit. o.A.

 

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