Heiner Jestrabek:

 

Wer war Josef Schiller (1846-1897, genannt: Schiller Seff )?

 Anton Behr, Schillers Mitstreiter aus den Gründungstagen der österreichischen Sozialdemokratie, charakterisierte Schiller Seff in seinen Erinnerungen folgendermaßen:

"Josef Schiller war einer der ersten Agitatoren, welche die nordböhmische Arbeiterbewegung in Fluss brachten. Er war revolutionärer Sozialist und proletarischer Freidenker. Er begann seine politische Tätigkeit mit einem Gedicht, dessen erste Strophe folgendermaßen lautet:

»Der Kampf beginnt, die Worte sind gefallen,

Wir sind erwacht, wir sind zum Kampf bereit,

Und donnernd mag 's von Land zu Lande schallen:

Der Kampf beginnt für eine bessere Zeit.«

Im Jahre 1870 entstand sein bekanntes Gedicht »Der Konfessionslose«, in welchem Schiller Josef den Gläubigen zuruft:

»Euer Priester lehrt euch dulden, leiden, tragen,

Mein Inneres lehrt mich schaffen, ringen, wagen.«

In demselben Jahre hörte ich Schiller Josef das erstemal öffentlich sprechen. Es war dies bei dem großen internationalen Meeting auf dem Jeschkenkamme. (Lubokeierberg 1870.) Aus seiner Rede ist mir der Ausspruch im Gedächtnis geblieben: »Fort mit dem alten Sauerteig, fort mit Himmel, Hölle und Fegefeuer.«"

 

1846     geboren am 29. Juni im nordböhmischen Reichenberg (Liberec) als ein Sohn armer Weber.

1855     nach dem frühen Tod des Vaters war der Neunjährige gezwungen in einer Tabakfabrik zu arbeiten.

1864     nach dem Tod der Mutter wurden die Kinder getrennt und Schiller musste in die Fremde gehen.

1868/69 wurde er Anhänger der ersten sozialdemokratischen Organisationen in Böhmen und trug eigene Gedichte (u.a. das bekannteste »Das Sklavenjoch«) in Arbeiterkreisen vor. Engagement als politischer Agitator, Organisator und Journalist.

1969     Heirat. Sich und seine bald vielköpfige Familie vermochte er nie aus materieller Not herauszuhalten.

1870     Blutige Zusammenstösse bei Streik und Demonstrationen in Reichenberg (Schilderung in »Maschinen-Rösi«)

1873     auf die »Schwarze Liste« gesetzt, gezwungen nach Aussig (Ústi nad Labem) umzusiedeln, Arbeit dort in der Chemischen Fabrik. Herausgeber der Zeitschrift »Brennessel«. Nach einem Bericht darin über einen Arbeitsunfall, erfolgte seine Entlassung. Arbeit im Bergbau in Modlau, wiederum Entlassung, Versuch sich zu ernähren durch Ladenhandel und Hausieren.

1874     Teilnahme am Gründungskongress der »Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Österreichs)« in Baden bei Wien. Wegen behördlichem Verbot wurde der Kongress ins nahe Neudörfl, im damals ungarischen Burgenland, verlegt. Schiller fungierte als Vizevorsitzender. Anschließend erhielt der Arbeitslose die Gelegenheit einige Monate als Anstreicher in Mürzzuschlag (Steiermark) zu arbeiten.

1875     Rückkehr nach Reichenberg. Zwischenzeitlich 1876 Arbeit im Arsenal in Dresden.

1877     Entgültige Rückkehr nach Reichenberg. Ende der 70er Jahre wurde Reichenberg der Sitz der wichtigsten zentralen Institutionen der österreichischen Sozialdemokratie, deren Presseorgane (»Sozialpolitische Rundschau«, »Der Volksfreund«, »Der Freigeist«, u.a.) und Tagungsort der legalen und illegalen Parteitage. Schiller bereist von hier nahezu alle deutschsprachigen böhmischen Gebiete als Redner. Er wird zum populärsten Arbeiterdichter, gerät aber zunehmend in Widerspruch zur Parteibürokratie.

1879/80Herausgeber der »Sozialpolitischen Rundschau« und Mitglied der Zentralleitung der österreichischen Sozialdemokratie. Querelen mit der Parteiführung und Herausgabe des ersten Gedichtbandes.

1879     verschärfte Sozialistenverfolgung in Österreich, Vereinsauflösungen, Zeitungsverbote, zahlreiche Haftstrafen.

1882     Redakteur des »Arbeiterfreund«. 10monatige Haftstrafe im Prager Landgericht wegen Pressevergehen. Insgesamt wurde Schiller in den 80er Jahren zwölf Mal verhaftet und musste insgesamt drei Jahre Haftstrafe verbüßen. (Schilderung der Haftzeit in »Bilder aus der Gefängnishaft«).

Spaltung der Sozialdemokratie in »Gemäßigte« und »Radikale« im ganzen Gebiet der Donaumonarchie. Schiller wird mit Anton Behr und Franz König Herausgeber des »Radikalen«. Nach der Verhaftung aller Redakteure erscheint der »Radikale« trotzdem noch fast ein Jahr.

1884     Haft wegen des allegorischen Gedichts »Kampf der Wahrheit mit der Lüge«.

1885     Herausgabe mehrerer Gedichtbände.

1888     Wiedervereinigung der sozialdemokratischen Fraktionen durch Initiative des neuen Parteiführers Viktor Adler. Gründung der »Sozialdemokratischen Partei Österreichs« auf dem Parteitag in Hainfeld. Schon 1887 hatte sich die »Tschechoslowakische Sozialdemokratische Partei« und Ende der 80er Jahre die Partei in Ungarn wieder vereinigt.

1890     Gründung des »Freigeist«, herausgegeben u.a. von Schiller, das über zwanzig Jahre lang das Arbeiterblatt Nordböhmens werden sollte.

1891     Delegierter beim sozialdemokratischen Kongress in Wien und dem ersten österreichischen Textilarbeiterkongress in Brünn (Brno).

1892     nach Differenzen mit der Parteiführung Ausscheiden aus dem »Freigeist«

1894     Bruch mit der örtlichen Parteiorganisation. Wiederum 2monatige Haft.

1896     nach einem offenen Konflikt mit der Parteiführung, blieb dem mittellosen Schiller nur noch die Möglichkeit der Auswanderung nach Amerika.

1987     Am 16. August Tod in Germania/Pensylvania (USA).

 

Die Prosa Schillers beinhaltete autobiographische Erzählungen und Reportagen. Seine äußerst populären Gedichte waren aufrüttelnd-kämpferisch, mit kraftvoller Sprache und teilweise mit balladenhaften Zügen. Sie schilderten das Elend des Arbeiterlebens in realistischen Bildern, waren größtenteils aber auch von kräftig derbem Humor. Eine Satiren über Kapitalisten und Kleriker haben heute noch großen Unterhaltungswert. Unter den Arbeitern Nordböhmens blieb Schiller Seff, auch noch viele Jahrzehnte nach seinem Tod, lebendig.

 

Bibliographie:

- Gesammelte Werke, Hrsg. von Paul Reimann. Reichenberg 1928 (mit biographischem Vorwort u.a. biographischen Zeugnissen).Reichenberg 1928

‑ Gedichte, im Selbstverlag 1880

‑ Ausgewählte Gedichte, 4 Hefte, im Selbstverlag 1885

‑ Lustige Gedichte, im Selbstverlag 1885.

‑ Gedichte, im Selbstverlag o. J. (wahrscheinlich 1885, aus dem Gefängnis)

‑ Der Mensch im Tierreiche, im Selbstverlag 1885

- Der Kampf der Wahrheit mit Lüge und Unverstand. In: Österreichischer Arbeiterkalender, 1885.

- Der Radikale (Reichenberg), Jg. 1883/84. (Mit Beiträgen von Josef Schiller.)

‑ Bilder aus der Gefangenschaft. In Freigeist, 1890, und als Broschüre im Selbstverlag

‑ Maulschelle (Faschingszeitung), 1891 und 1895

‑ Spottvogel (Faschingszeitung), 1893

- Nordböhmische Klänge (Anthologie von Arbeiterdichtungen), Warnsdorf 1897

- Stimme der Freiheit (Anthologie), Nürnberg 1901

‑ Hoch die Kommune. Nach der Handschrift, Tschechoslowakisches Staatsarchiv

 

Literatur:

Heinrich Barthel: Josef Schiller (erste Lebensbeschreibung), erschienen in der Teplitzer "Freiheit" 9. 2. 1897

Emil Strauß: Die Entstehung  der deutsch-böhmischen Arbeiterbewegung. Prag 1925

Paul Reimann: Von Herder bis Kisch. Studien zur Geschichte der deutsch-österreichisch-tschechischen Literaturbeziehungen. Berlin 1961, S. 53-93, 222-233

Inge Diersen u.a. (Hrsg.) Lexikon sozialistischer deutscher Literatur von den Anfängen bis 1945. 'Gravenhage (NL) 1973, S. 445-447

 

Eine Auswahl von Gedichten Schillers Seff sind nachzulesen in:

Zum deutsch-tschechischen Verhältnis. Dokumentation zum 60. Jahrestag des Münchener Diktates 1938. (3. erweiterte Auflage 2002) Mit Beiträgen zur Geschichte von Freidenkertum und Arbeiterbewegung von Heiner Jestrabek (Herausgeber), Hugo Dimter, Franz-Josef, Fischer, Leopold Grünwald, Jan Sládek, Josef Schiller, Egon Erwin Kisch, Louis Fürnberg, Franz Carl Weiskopf und Rudolf Fuchs.