August Thalheimer:

 

           

„So ist die Vernunft selbst weltlich“ Ausgewählte philosophische und religionskritische Schriften.

Herausgegeben von Heiner Jestrabek

1. Auflage 2008

Copyright 2008 by Alibri Verlag, www.alibri.de

Postfach 100 361, 63703 Aschaffenburg

ISBN 978-3-86569-130-9

166 Seiten, 13 €

 

In der Buchreihe Klassiker der Religionskritik des Aschaffenburger Verlags Alibri liegt nun der zehnte Band vor. Wurden bisher Denis Diderot, Johann Most, Albert Dulk, Jakob Stern, Fritz Lamm, Friedrich Hecker, Peter Maslowski, Rosa Luxemburg und zuletzt August Bebel porträtiert, steht nunmehr August Thalheimer im Mittelpunkt. (Die Ausgaben von Dulk, Stern, Luxemburg, Bebel und Thalheimer vom gleichen Herausgeber).

Wie auch in den Vorgängerbänden werden in einer ausführlichen Einleitung Leben und Werk dargestellt, ein erklärendes Glossar, eine biographische Zeittafeln und eine Bibliographie angefügt. Der Leserschaft liegt somit in komprimierter Form informatives biographisches Material und exemplarische Texte zu weltanschaulichen Position der vorgestellten Persönlichkeiten vor.

Dem Band vorangestellt ist ein kurzes Vorwort des 92-jährigen Theodor Bergmann, der Thalheimer noch persönlich kannte und dessen privates Archiv und seine umfangreichen Publikationen (Die Thalheimers. Geschichte einer Familie undogmatischer Marxisten, Hamburg 2004 u.a.) entscheidend zu diesem Buchprojekt beigetragen haben. Auch ein Brief mit persönlichen Erinnerungen von Thalheimers Sohn Roy, der 87-jährig in Australien lebt, wird eingangs dokumentiert.
In der Einleitung des Herausgebers Jestrabek wird ausführlich über einen „jüdischen Schwaben und atheistischen Philosophen“ berichtet - und nach der Lektüre fragt man sich, warum 60 Jahre nach seinem Tod vergehen mussten, bis die Werke dieser interessanten Persönlichkeit veröffentlicht werden. Dabei hat insbesondre die internationale Rosa-Luxemburg-Rezeption in den letzten Jahren Thalheimer als einen bedeutenden Mitkämpfer und Fortsetzer Rosa Luxemburgs entdeckt - aber bisher stand er als politischer Dissident, erster und bedeutendster deutscher Faschismus-Analytiker und differenzierter Kritiker der Sowjetbürokratie im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt seiner Theorie, die dialektische und materialistische Philosophie und seine darin enthaltende Religionskritik, wird erstmals in diesem Band beschrieben, dokumentiert und kommentiert.

Thalheimer stammte aus einer aufgeklärten schwäbisch-jüdischen Familie. Im Elternhaus verkehrten die Größen der Sozialdemokratie, insbesondre Clara Zetkin. August studierte und wurde ein hochspezialisierter Sprachwissenschaftler, veröffentlichte in der „Neuen Zeit“ den im Buch dokumentierten Aufsatz „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“, arbeitete als Redakteur, schloss sich der Linken um Rosa Luxemburg an, wurde Mitbegründer der Spartakusgruppe und später der KPD und nach der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg der theoretische Kopf der Partei. 1924 wurde er zusammen mit Heinrich Brandler als Sündenbock für die verloren gegangene deutsche Revolution abgesetzt und ins „Ehrenexil“ nach Moskau geschickt. Diesem nicht ganz freiwilligen Aufenthalt und seiner dortigen Tätigkeit verdankten die Zeitgenossen eine Reihe von Schriften, die im vorliegenden Band abgedruckt sind: seine Philosophie-Vorlesungen an der Sun-Yatsen-Universität vor chinesischen Studenten und das Buch über Spinoza, gemeinsam verfasst mit den damals bekannten sowjetischen Philosophen Deborin. Er arbeitete mit Rjasanow und Bucharin, die beide später Opfer der Stalinschen Säuberungen werden sollten. 1928 kehrte Thalheimer mit großen Schwierigkeiten zurück nach Deutschland, um kurz darauf als Objekt einer Ausschlusswelle aus der KPD herauszufliegen. Mit Eduard Fuchs stürzte er sich in die gewaltige Aufgabe, die Werke Franz Mehrings herauszubringen, was größtenteils noch vor 1933 gelang. Über Thalheimers oppositionelle Kommunisten, seinen verzweifelten Kampf für eine Einheit der zerstrittenen Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Faschismus und seine Emigrationsjahre in Frankreich und Kuba wird berichtet. Die Rückkehr nach Deutschland nach Kriegsende wurde ihm verwehrt und so starb er 1948 auf Kuba.

Von besonderem Interesse für die Religionskritik dürften die Kämpfe und Diskussionen innerhalb der Bewegungen der sowjetischen „Gottlosen“ und der deutschen Freidenker gewesen sein. Hier verweist der Herausgeber auf ein bisher noch zu wenig aufgearbeitetes Kapitel der Geschichte der Arbeiterkulturbewegung.

 

Inhaltsverzeichnis

 

         Vorwort von Theodor Bergmann          

         Brief von Roy Thalheimer         

         Heiner Jestrabek: „Ist die Welt, das Universum, vernünftig, so ist die Vernunft selbst weltlich.“ August Thalheimer – Ein jüdischer Schwabe und atheistischer Philosoph       

 

            August Thalheimer: Ausgewählte philosophische und religionskritische Schriften:

         Einführung in den dialektischen Materialismus (Auszüge)         

         Einleitung zu Franz Mehring: Zur Geschichte der Philosophie     

         Gott, Freiheit und Unsterblichkeit          

         Spinozas Einwirken auf die klassische deutsche Literatur          

         Glossar             

         Biographisches und Bibliographisches  

         Editorische Notiz

 

 

  

 

August Thalheimer: Über die Kunst der Revolution und die Revolution der Kunst. Ein Versuch

Erstveröffentlichung des vollständigen Manuskripts

 

 

Heidenheim-München, 6 €

 

Quasi als Nebenprodukt dieses Buchprojektes entstand als Broschüre die Herausgabe einer „Erstveröffentlichung des vollständigen Manuskripts“: August Thalheimer: Über die Kunst der Revolution und die Revolution der Kunst. Ein Versuch. Mit einer Einführung von Theodor Bergmann und herausgegeben von Heiner Jestrabek. (Heidenheim-München 2008)
Dieses Essay war Thalheimers letztes erhaltenes Werk und behandelte zunächst eine ästhetische Fragestellung. Theodor Bergmann stellte das maschinenschriftliche Manuskript zur Verfügung und schrieb editorische Vorbemerkungen und eine Einführung.

August und Cläre Thalheimer lebten im Exil in Kuba und konnte nur brieflichen Kontakt zum Sohn Roy-Ruben in Australien und der Tochter Sita in den USA halten. Sita war Künstlerin, und der vorliegende Essay war in erster Linie für sie geschrieben, zur Reflexion über ihre Arbeit und ihres Berufes. August Thalheimer nutzte aber auch die Gelegenheit grundsätzliche Positionen zur gesellschaftlichen Rolle der Kunst und ihrem Verhältnis zur sozialistischen Umgestaltung darzulegen. Bergmann: „Der Essay lässt deutlich Thalheimers Geschichtsverständnis erkennen. Er sieht Geschichte nicht deterministisch, sondern offen: Immer gibt es Alternativen. Menschen machen die Geschichte (unter den vorgefundenen Bedingungen), wenn sie sich als Klasse organisieren.“ Insbesondere behandelt der Essay einen wichtigen Aspekt der Einschätzung der widersprüchlichen Entwicklung des „ersten sozialistischen Großversuchs“ durch  Thalheimer.

Zunächst behandelt Thalheimer den Begriff der Abbildung, der für Kunst und Wissenschaft gemeinsame und unterschiedliche Merkmale hat. Dann geht er auf die gesellschaftliche Funktion der Kunst in ihren zahlreichen Formen in der Urgesellschaft ein. Hier erklärt er anschaulich das Entstehen von religiösen Ausdrucksformen. Die primitiven Gesellschaften waren »in höchstem Grade abhängig von der Natur. Sie verstehen noch nicht, sie methodisch zu beherrschen. Daraus entspringt das religiöse und mythologische, d. h. irrationale und phantastische Verhältnis zur Natur, das sich naturgemäß so in ihrer Kunst widerspiegelt«.

Der Essay stellt die Frage nach einer revolutionären Kunst und behandelt die Rolle der Kunst in der Vorbereitung der bürgerlichen und sozialistischen Revolution. Die Rolle der Kunst nach dem Sieg des Sozialismus kann nur hypothetisch behandelt werden. Er beschreibt die Grundmerkmale dieser Zukunftsgesellschaft und lässt klar erkennen, dass diese Gesellschaft noch nicht existiert, auch nicht in der damaligen Sowjetunion.

Im Abschnitt „Der russische Sonderfall“ skizziert Thalheimer eine materialistische Gesellschaftsanalyse der Sowjetgesellschaft, erklärt deren Mängel und begründet seine grundsätzliche Kritik an der stalinistisch deformierten Gesellschaft. Er zeigt klar die besonderen Schwierigkeiten der russischen Arbeiterklasse auf, einer »besonderen, gewaltigen Aufgabe, der ursprünglichen Akkumulation in einem Entwicklungsland (der nachholenden Entwicklung) bei gleichzeitiger weltpolitischer Isolation und ökonomisch-technologischem Boykott fast der gesamten kapitalistischen Welt. Daher bleibt der Lebensstandard auf lange Zeit niedrig. Dazu kommt dann der Abbau der anfänglichen proletarischen Demokratie, der Räte, der Autonomie der Gewerkschaften und der innerparteilichen Demokratie. Daher kann die quantitativ wachsende Arbeiterklasse nicht zu einer Klasse für sich werden. An die Stelle der proletarischen Demokratie tritt »die zentralistische, staatliche Zwangsgewalt in immer steigendem Ausmaß. Nur die immer mehr steigende und alle Ansätze der demokratischen Selbsttätigkeit der Werktätigen verschlingende Zwangsgewalt konnte der Aufgabe der ursprünglichen Akkumulation und der Selbstverwaltung unter den in Russland gegebenen Bedingungen gerecht werden.«

Thalheimer analysierte die »neue, streng hierarchisch gegliederte führende Oberschicht«, ohne den Begriff „neue Klasse“ zu verwenden. Zu dieser Schicht gehörten führende Elemente der KP, die mit der bürgerlichen Intelligenz, der Bourgeoisie und der ehemaligen zaristischen Bürokratie verschmolzen waren. »Das Ergebnis ist der universale Polizei- und Beamtenstaat, in dem die Regierungsmaschine alle selbständigen Regungen der Gesellschaft ersetzt, in dem alle Organisationen von oben und außen gelenkt sind.« Die proletarischen Massenorganisationen in der Sowjetunion waren »keine demokratischen Organisationen mehr. Und schließlich ist aus der Kommunistischen Partei selbst jede Spur innerer Demokratie verschwunden. Alle ihre [der Arbeiterklasse] Organisationen: Sowjets, Gewerkschaften, Genossenschaften, Partei sind ihr entfremdet, sind aus Mitteln ihrer Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit zu Mitteln der Fremdbestimmung und der befohlenen, erzwungenen Tätigkeit von oben und außen geworden.«

Die neue bürokratische Schicht sieht Thalheimer als Hindernis für die Selbstbestimmung der Werktätigen. Der Widerspruch zwischen Bürokratie und Werktätigen könne nur gelöst werden, »wenn die atomisierten Arbeiter ein selbstbestimmendes und kollektiv handelndes Ganzes werden im Widerstand und Kampf gegen die allmächtige Staatsmaschinerie. Nur dieser Kampf kann die politischen Vorbedingungen schaffen für die klassenlose sozialistische Gesellschaft!«

Grundsätzliche Kritik übte er an der stalinschen Kulturpolitik deren »sozialistischen Realismus«, die Teile der Kunst nicht nur verbot, sondern auch vorschrieb, was Kunst und Literatur aussagen dürfen und sollen. Kunst dürfe nun nicht mehr Kritikwürdiges kritisieren, sondern solle sich fügen, diese rechtfertigen und möglichst fördern. »Unter solchen Bedingungen verliert die Kunst eine ihrer wichtigen, gesellschaftlichen Funktionen, sie muss verkrüppeln«. Der sozialistische Realismus tendiere dahin, »sich selbst aufzuheben ..., wird zur Schematik und Schönfärberei«.

So geht dieser Essay weit über die Erörterung der Probleme der Kunst hinaus. Die damalige Sowjetgesellschaft wird prinzipiell aus marxistischer Sicht einer Kritik unterworfen. Thalheimer grenzt sich ab von kritikloser Euphorie, ebenso wie von totaler Verdammung. Er erkennt die weltgeschichtliche Bedeutung »des ersten Großversuches, die Grenzen des Kapitalismus zu überschreiten«. Er anerkennt deren positive Leistungen und kritisiert die Erscheinungen des Niedergangs der Stalin-Ära, warnt vor der existentiellen Bedrohung des Großversuches, wenn eine Korrektur ausbleiben sollte. Er sollte Recht behalten.

Thalheimers Kunst-Essay belegt eben wieder einmal, dass das theoretische Erbe August Thalheimers ganz zu Unrecht in Vergessenheit geraten und fehlinterpretiert war. Insbesondre ist von Interesse, dass es bereits in den 1920er Jahren bedeutende antistalinistische Kräfte und durchaus starke politische und personelle Alternativen im deutschen Kommunismus gab. Oder um es mit Theodor Bergmanns zitierten Worten auszudrücken: „Die heute gängige Geschichtslüge sagt, der Stalinismus sei die einzige und einzig mögliche Entwicklungslinie des Kommunismus gewesen. … Die Wiederentdeckung der Ketzer im Kommunismus soll daher auch ein Beitrag zur geistigen Erneuerung der sozialistischen Bewegung sein, eine Anregung zu zweifelndem Denken, im Gegensatz zur Verzweiflung der Dogmatiker.“ In diesem Sinn seien alle zur Neuentdeckung herzlich eingeladen.

 

 

Inhalt:

Theodor Bergmann: Editorische Vorbemerkungen

Theodor Bergmann: Einführung

 

August Thalheimer: Über die Kunst der Revolution und die

Revolution der Kunst. Ein Versuch

Vorbemerkung

1. Die künstlerische Abbildung

2. Die gesellschaftliche Funktion in der Urgesellschaft

3. Was ist revolutionäre Kunst?

4. Die Rolle der Kunst in der Vorbereitung der bürgerlichen und der sozialistischen Revolution

5. Die Kunst nach dem Siege der sozialistischen Revolution

6. Der russische Sonderfall

7. Der Unterschied zwischen Kunst und Propaganda

8. Der schöpferische Künstler und sein Publikum als Verhältnis der Identität und des Unterschiedes

 

August Thalheimer - Biographische Skizze

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